Wenn ein Reisender in einer Winternacht
dir das Recht zu körperlichen Beziehungen mit allen weiblichen Personen? Einfach so, ohne Vorbereitung. ? Genügte nicht deine Geschichte mit Ludmilla, um der Handlung die Wärme und Anmut eines Liebesromans zu geben? Was mußt du dich nun auch mit ihrer Schwester einlassen (oder mit einer, die du für ihre Schwester hältst), mit dieser Lotaria-Corinna-Sheila, die dir doch eigentlich nie besonders sympathisch war. ..? Ist ja verständlich, wenn du dich jetzt revanchieren willst, nachdem du die Geschehnisse über Seiten und Seiten mit passiver Resignation verfolgt hast, aber meinst du, dies wäre die richtige Art? Oder willst du jetzt sagen, du wärst auch in diese Situation ganz unwillkürlich hineingeraten? Du weißt doch genau, diese Frau macht alles nur mit dem Kopf, was sie in der Theorie für richtig befindet, setzt sie in die Praxis um, bis zur letzten, äußersten Konsequenz. Sie wollte dir nur eine ideologische Demonstration geben, weiter nichts. Wie kommt es, daß du dich diesmal so rasch von ihren Argumenten überzeugen läßt? Paß auf, Leser, hier ist alles anders, als es zu sein scheint, hier hat alles zwei Gesichter.
Ein Blitzlicht, begleitet vom wiederholten Klicken einer Kamera, verschlingt das Weiß eurer konvulsivisch ineinanderverschlungenen Nuditäten.
»Schon wieder läßt du dich nackt in den Armen eines Häftlings erwischen, Capitan Alexandra!« tadelt die Stimme des unsichtbaren Fotografen. »Diese Schnappschüsse werden eine schöne Bereicherung deiner Personalakte sein. «, und leise kichernd entfernt sich die Stimme.
Alfonsina-Sheila-Alexandra steht auf, greift sich gelangweilt ihre Kleider. »Nie lassen sie einen in Ruhe!« mault sie. »Das ist das Lästige, wenn man für zwei Geheimdienste gleichzeitig arbeitet, die einander bekämpfen: Dauernd wird man von beiden Seiten erpreßt!«
Du willst ebenfalls aufstehen, verhedderst dich aber in dem Papierstreifen, der aus dem Druckautomaten quillt: Der Anfang des Romans räkelt sich auf dem Boden wie eine Katze, die spielen will. Jetzt sind es deine gelebten Geschichten, die mitten im spannendsten Augenblick abbrechen: Vielleicht darfst du dafür nun künftig deine Romane zu Ende lesen.
Alexandra-Sheila-Corinna macht sich gedankenverloren an ihren Tasten zu schaffen. Sie hat wieder ganz die Miene der tüchtigen Laborantin, die voll bei der Sache ist. »Irgendwas stimmt nicht«, murmelt sie. »Inzwischen müßte doch alles draußen sein. Was ist los?«
Dir war es schon aufgefallen: Alfonsina-Gertrude hat heute einen etwas nervösen Tag, irgendwann muß sie auf eine falsche Taste gedrückt haben. Die Ordnung der Wörter im Text von Calixto Bandera, die das Elektronengedächtnis gespeichert hat, um sie jederzeit reproduzieren zu können, ist durch eine plötzliche Entmagnetisierung der Impulse gelöscht worden. Die bunten Drähte mahlen nur noch die Spreu der zusammenhanglosen Wörter: die die die die, das das das das, wo wo wo wo, was was was was, in langen Kolonnen, säuberlich nach Frequenzen geordnet. Das Buch ist zerkrümelt, aufgelöst, nicht wiederherstellbar, verflogener Sand, vom Winde verweht.
Rings um eine leere Grube
Wenn die Geier auffliegen, ist das ein Zeichen für das nahe Ende der Nacht, hatte mein Vater gesagt. Und ich hörte die schweren Schwingen schlagen am dunklen Himmel, und ich sah ihren Schatten die grünen Sterne verfinstern. Es war ein mühsamer Flug, der sich nur zögernd vom Boden löste und aus dem Schatten der Büsche, als überzeugten die Federn sich erst beim Fliegen, daß sie Federn waren und keine stachligen Blätter. Dann rauschten die Zopilotes davon, und die Sterne kamen wieder zum Vorschein, grau, und der Himmel war grün. Es dämmerte, und ich ritt auf den einsamen Wegen des Altiplano zum Dorfe Oquedal.
»Nacho«, hatte mein Vater gesagt, »sobald ich gestorben bin, nimmst du mein Pferd, meinen Karabiner und Wegzehrung für drei Tage und reitest von San Ireneo, aufwärts dem trockenen Flußbett folgend, bis du den Rauch emporsteigen siehst über den Terrassen von Oquedal.«
»Warum Oquedal?« fragte ich. »Wer ist in Oquedal? Wen soll ich dort aufsuchen?«
Meines Vaters Stimme wurde immer matter und stockender, sein Gesicht immer bläulicher. »Ich muß dir ein Geheimnis enthüllen, das ich gehütet habe über so viele Jahre. .. Es ist eine lange Geschichte. «
Mein Vater lag in den letzten Zügen, er war im Begriff, den letzten Hauch seines Todeskampfes in diese Worte zu legen, und ich
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