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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Frau, die hier. «
    »Deine Blutsbande such dir woanders, nicht bei uns armen Indios.    Hat dir dein Vater nicht gesagt ?«
    »Mein Vater hat mir gar nichts gesagt, ich schwöre es dir, Anacleta. Ich weiß nicht, wer meine Mutter ist. «
    Anacleta hebt eine Hand und zeigt hinüber zum ersten Hof. »Warum hat dich die Herrin nicht empfangen wollen? Warum hat sie dich hier bei der Dienerschaft untergebracht? Zu ihr hat dich dein Vater geschickt, nicht zu uns. Geh zu Dona Jazmina und sag: >Ich bin Nacho Zamora y Alvarado, mein Vater hat mich geschickt, Euch zu Füßen zu fallen.««
    Hier müßte die Erzählung mein Inneres aufgewühlt darstellen, aufgewühlt wie von einem Orkan durch die Enthüllung, daß die Hälfte meines Namens, die man mir bisher verschwiegen hatte, die des Namens der Herren von Oquedal war und daß Estancias, groß wie Provinzen, meiner Familie gehörten. Doch es ist, als sauge mich meine Rückreise in die Zeit nur immer tiefer in einen dunklen Strudel, darin die aneinandergereihten Höfe der Alvarado-Villa ineinandergeschachtelt erscheinen, gleichermaßen vertraut und fremd in meinem leeren Gedächtnis. Der erste Gedanke, der mir in den Sinn kommt, ist der, den ich Anacleta verkünde, während ich ihre Tochter an einem Zopf ergreife: »Ha! Dann bin ich ja euer Herr, der Herr deiner Tochter, und kann sie mir nehmen, wann immer ich will!«
    »Nein!« schreit Anacleta auf. »Ehe du Amaranta anrührst, töte ich euch!« Und Amaranta entwindet sich meinem Griff mit einer Grimasse, die ihre Zähne entblößt, ich weiß nicht, ob zu einem Seufzen oder zu einem Lächeln.
     
    Trüb ist die Kerzenbeleuchtung im Speisesaal der Alvarados, die Kandelaber sind überkrustet mit dem Tropfwachs von Jahren, vielleicht soll man den abgebröckelten Stuck und die zerschlissenen Vorhangborten nicht sehen. Ich bin zum Diner bei der Herrin geladen. Dona Jazminas Gesicht ist bedeckt mit einem Puderbelag, der aussieht, als wolle er jeden Augenblick abblättern und auf den Teller fallen. Auch sie ist eine Indianerin unter dem Kupferrot gefärbten und mit der Brennschere ondulierten Haar. Schwere Armringe funkeln jedesmal, wenn sie den Löffel hebt. Ihre Tochter Jacinta wurde im Internat erzogen und trägt einen weißen Tennispullover, aber in Blicken und Gesten gleicht sie den übrigen Indiomädchen.
    »In diesem Salon standen früher die Spieltische«, erzählt Dona Jazmina. »Zu dieser Stunde begannen die Spiele und dauerten oft bis zum Morgen. Manch einer hat hier ganze Estancias verloren. Don Anastasio Zamora war nur zum Spielen hergekommen, aus keinem anderen Grund. Er gewann immer, und es ging das Gerücht, er sei ein Falschspieler.«
    »Aber eine Estancia hat er nie gewonnen«, fühle ich mich verpflichtet zu präzisieren.
    »Dein Vater war einer, der das, was er im Laufe der Nacht gewann, im Morgengrauen schon wieder verloren hatte. Und bei all seinen Weibergeschichten war das bißchen, was ihm verblieb, rasch durchgebracht.«
    »Hatte er solche Geschichten. Weibergeschichten. auch hier im Hause?« erkühne ich mich zu fragen.
    »Drüben, drüben im anderen Hof, da ging er sich welche suchen, bei Nacht. «, sagt Dona Jazmina und deutet hinüber zu den Unterkünften der Indios.
    Jacinta lacht prustend los und bedeckt sich mit beiden Händen den Mund. Jetzt erkenne ich ihre Ähnlichkeit mit Amaranta, obwohl sie das Haar ganz anders trägt und ganz anders gekleidet ist.
    »Alle sehen einander ähnlich in Oquedal«, sage ich. »Im zweiten Hof hängt ein Bild, es könnte das Bild von jedem hier sein. «
    Sie sehen mich an, ein wenig verlegen. Die Mutter sagt: »Das war Faustino Higueras.    Blutsmäßig war er nur halb Indio, die andere Hälfte war weiß. Aber im Herzen war er ganz Indio. Er lebte mit ihnen, nahm für sie Partei - und endete dann auch so.«
    »War er vom Vater oder von der Mutter her weiß?« »Was du alles wissen willst. «
    »Sind alle Geschichten in Oquedal so?« frage ich. »Weiße mit Indiomädchen, Indios mit weißen Mädchen. «
    »Weiße und Indios ähneln einander in Oquedal. Das Blut ist vermischt seit der Zeit der Conquista. Aber die Herren dürfen nicht mit den Knechten gehen. Wir können tun, was wir wollen, wir unter uns und mit jedem hier, nur das nicht, niemals. .. Don Anastasio kam aus einer Herrenfamilie, obwohl er ärmer war als der ärmste Bettler. «
    »Was hat mein Vater mit all dem zu tun?«
    »Laß dir das Lied erklären, das die Indios hier singen: Zamora gegangen. .. die

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