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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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klingen, sonderbar und von ungewisser Bedeutung. Indes, wer auch immer dereinst mein Tagebuch findet, in jedem Falle wird er besser dran sein als ich: Bei einer geschriebenen Sprache ist es stets möglich, ein Vokabular und eine Grammatik zu rekonstruieren, Sätze zu isolieren und sie in einer anderen Sprache wiederzugeben oder zu paraphrasieren. Ich hingegen versuche, aus der Abfolge der mir täglich sich bietenden Dinge herauszulesen, was die Welt mit mir vorhat, und ich komme nur tastend voran, wohl wissend, daß keinerlei Vokabular je in Worte zu fassen vermag, was da in den Dingen alles an dunklen Anspielungen dräut. Ich wünschte, mein künftiger Leser erführe dieses Aufsteigen vager Vorahnungen und Zweifel nicht als ein akzidentelles Hindernis für sein Verständnis meines Berichts, sondern als dessen eigentliche Substanz; und sollten meine Gedankengänge sich dem, der ihnen ausgehend von einer radikal veränderten Mentalität zu folgen versucht, entziehen, so bleibt das Entscheidende doch, daß er die Anstrengung wahrnimmt, die ich vollbringe, um zwischen den Zeilen der Dinge den flüchtigen Sinn des Kommenden zu erhaschen.
     
    Donnerstag. »Dank einer Sondererlaubnis der Direktion«, hat mir Fräulein Zwida erklärt, »darf ich an Besuchstagen ins Gefängnis, um mich mit meinen Zeichenblättern und Stiften im Sprechzimmer an den Tisch zu setzen. Die Angehörigen der Häftlinge bieten mir in ihrer schlichten Menschlichkeit interessante Motive für Studien nach der Natur.«
    Ich hatte sie gar nicht gefragt, aber da ihr offenbar nicht entgangen war, daß ich sie gestern auf dem Platz vor der Festung gesehen hatte, fühlte sie sich verpflichtet, ihre Anwesenheit an jenem Ort zu rechtfertigen. Mir wäre es lieber gewesen, sie hätte geschwiegen, denn für Zeichnungen von menschlichen Gestalten habe ich nicht viel übrig, und es wäre mir peinlich gewesen, wenn sie mir ihre Blätter gezeigt hätte, was jedoch nicht geschah. Sie liegen vermutlich, dachte ich mir, in einer besonderen Mappe, die das Fräulein jeweils zwischen zwei Besuchstagen im Gefängnisbüro hinterlegt, denn gestern - ich erinnere mich genau - trug sie weder ihren gewohnten Block noch das Etui mit den Stiften bei sich.
    »Wenn ich zeichnen könnte, würde ich mich allein dem Studium der Formen unbeseelter Objekte widmen«, erklärte ich mit einer gewissen Entschiedenheit, teils weil ich das Thema wechseln wollte, teils weil ich meine Seelenzustände dank einer angeborenen Neigung tatsächlich im reglosen Leiden der Dinge wiedererkenne.
    Fräulein Zwida zeigte sich umgehend einverstanden: Das Objekt, das sie am liebsten zeichnen würde, sagte sie, sei so ein kleiner vierzackiger Anker, »Draggen« genannt, wie ihn die Fischer für ihre Boote benutzen. Sie zeigte mir einen, als wir bei den Fischerbooten an der Mole vorbeikamen, und erklärte mir die Schwierigkeiten einer exakten Zeichnung der vier Haken in den verschiedenen Neigungen und Perspektiven. Ich begriff, daß der Gegenstand eine Botschaft für mich enthielt, die ich entziffern mußte. Ein Anker? Das konnte nur heißen: eine Aufforderung, mich niederzulassen, mich festzuhaken, Wurzeln in die Tiefe zu schlagen, um Schluß zu machen mit meiner Unstetigkeit und meinem Verweilen an der Oberfläche. Doch diese Deutung ließ Raum für Zweifel. Konnte es nicht auch heißen: eine Aufforderung, mich loszureißen, in See zu stechen, das Weite zu suchen? Etwas an der Form des Draggens, die vier einwärts gebogenen Zähne, die vier schartigen, vom Schleifen über den felsigen Grund zerschrammten Eisenarme ermahnten mich, daß keine Entscheidung ohne Risse und Schmerzen abgehen würde. Zu meinem Trost blieb der Umstand, daß da nicht etwa ein schwerer Hochseeanker vor mir lag, sondern nur eben ein leichter Draggen: Niemand verlangte mithin, daß ich auf die Beweglichkeit meiner Jugend verzichte, ich sollte nur einen Augenblick innehalten, mich besinnen, das Dunkel in meinem Innern ausloten.
    »Um dieses Objekt in Ruhe von allen Seiten zeichnen zu können«, sagte Zwida, »müßte ich solch einen Anker haben, um ihn ausgiebig studieren zu können. Was meinen Sie, ob mir ein Fischer wohl einen verkaufen würde?«
    »Man kann ja mal fragen«, sagte ich.
    »Wie wär's, wenn Sie versuchen würden, mir einen zu besorgen. Ich selber traue mich nicht - ein Fräulein aus der Stadt, das sich für ein so grobes Fischergerät interessiert, würde hier sicher großes Aufsehen erregen.«
    Ich sah mich schon, wie

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