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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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ich ihr das Eisending überreichte, als war's ein Blumenstrauß: Das Bild hatte in seiner Abstrusität etwas Schrilles und Wildes. Gewiß verbarg sich auch darin eine Bedeutung, die mir noch entging. Mit dem Vorsatz, darüber in Ruhe nachzudenken, sagte ich ja.
    »Ich hätte den Anker gern mit der dazugehörigen Trosse«, erklärte Zwida. »Ich kann Stunden damit verbringen, zusammengerollte Taue zu zeichnen. Nehmen Sie ruhig ein langes Tau, zehn Meter oder besser noch zwölf.«
     
    Donnerstag abend. Die Ärzte haben mir einen begrenzten Konsum alkoholischer Getränke erlaubt. Zur Feier der guten Nachricht bin ich bei Sonnenuntergang in die Schenke »Stern von Schweden« gegangen und habe mir einen Grog bestellt. Am Tresen standen Fischer, Zöllner und Hafenarbeiter. Es herrschte lautes Stimmengewirr, doch am lautesten tönte ein älterer Mann in der Uniform eines Gefängniswärters, der betrunken grölte: »Und jeden Mittwoch steckt mir die parfümierte Mamsell einen Hundert-Kronen-Schein zu, damit ich sie alleinlasse mit dem Häftling. Und am Donnerstag sind die ganzen hundert Kronen schon Bier. Und wenn die Besuchszeit vorbei ist, hat die Mamsell den Zellengeruch in ihren feinen Kleidern, und der Häftling hat das Parfüm der Mamsell in seiner Anstaltskluft. Und ich habe meinen Biergeruch. Ja, ja, das Leben ist nichts als ein Tausch von Gerüchen.«
    »Das Leben und der Tod, kannst du ruhig sagen«, unterbrach ihn ein anderer Betrunkener, der, wie ich gleich erfahren sollte, den Beruf des Totengräbers ausübte. »Ich versuch immer, mit dem Biergeruch meinen Totengeruch wegzukriegen. Und erst mit dem Totengeruch wirst du deinen Biergeruch wegkriegen. Wie alle Säufer, für die ich die Grube zu graben habe.«
    Ich nahm diesen Dialog als Mahnung, wachsam zu sein: Die Welt zerfällt und versucht, mich in ihren Zerfall mit hineinzureißen.
     
    Freitag. Der Fischer war plötzlich mißtrauisch geworden: »Hä? Wieso denn das? Wozu brauchen Sie einen Draggen?«
    Die Frage war indiskret, ich hätte antworten müssen: »Um ihn zu zeichnen«, aber ich kannte Fräulein Zwidas Scheu, ihre künstlerische Betätigung vor Leuten zu zeigen, die sie nicht zu schätzen wissen; außerdem wäre, was mich betraf, die richtige Antwort gewesen: »Um ihn zu bedenken«, und wer hätte das wohl verstanden?
    »Meine Sache!« erwiderte ich. Wir hatten bisher freundschaftlich miteinander gesprochen, da wir uns seit gestern abend aus der Schenke kannten, aber nun war unser Dialog auf einmal ins Stocken geraten.
    »Gehen Sie doch in einen Laden für Seglerbedarf«, sagte der Fischer schroff. »Ich habe nichts zu verkaufen!«
    Im Laden ging's mir genauso: Kaum hatte ich meinen Wunsch geäußert, verfinsterte sich der Blick des Händlers: »Wir können so etwas nicht an Fremde verkaufen«, sagte er. »Wir wollen keine Geschichten mit der Polizei... Auch noch ein zwölf Meter langes Tau... Nein, wirklich, ich will Sie ja nicht verdächtigen, aber es wäre hier nicht das erste Mal, daß jemand so einen Draggen zu einem Gefängnisfenster hinaufwirft, um einem Sträfling zur Flucht zu verhelfen. «
    Das Wort »Flucht« gehört zu denen, die ich nicht hören kann, ohne mich auf der Stelle in eine endlose Grübelei zu verlieren. Die Beschaffung des Ankers, die ich auf mich genommen habe, scheint mir auf einen Fluchtweg hinzuweisen, vielleicht auf eine Verwandlung, eine Wiedergeburt. Mit einem Schaudern weise ich den Gedanken von mir, daß mein sterblicher Körper das Gefängnis sein könnte und die bevorstehende Flucht womöglich die Loslösung meiner Seele, der Aufbruch zu einem außerirdischen Leben.
     
    Samstag. Es war mein erster nächtlicher Ausgang seit vielen Monaten, und so machte ich mir nicht unbeträchtliche Sorgen, vor allem wegen meiner Anfälligkeit für Erkältungen, weshalb ich mir, bevor ich hinausging, ein warmes Kopftuch umband und darüber die Wollmütze stülpte und darüber den Filzhut. So eingemummelt, dazu mit einem Schal um den Hals und einem zweiten Schal um die Hüften, angetan mit der Wolljacke und der Pelzjacke und der Lederjacke sowie den gefütterten Stiefeln, kam ich mir einigermaßen geschützt vor. Die Nacht war, wie ich bald feststellen konnte, mild und klar. Doch mir war immer noch unbegreiflich, wieso Herr Kauderer es für nötig gehalten hatte, mich durch ein mysteriöses Billett, das er mir in aller Heimlichkeit hatte zukommen lassen, mitten in tiefster Nacht auf den Friedhof zu bestellen. Wenn er

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