Wenn ein Reisender in einer Winternacht
noch gar nichts. Denn inzwischen hatten wir natürlich kein Vertrauen mehr zu diesem Burschen und wollten Klarheit haben, also die Übersetzung mit dem Original vergleichen. Und was kam dabei raus? Es war auch nicht Bazakbal, es war ein Roman aus dem Französischen, von einem kaum bekannten belgischen Autor namens Bertrand Vandervelde, der Titel heißt. Warten Sie, ich zeig's Ihnen. «
Cavedagna eilt hinaus und kommt mit einem Bündel Fotokopien wieder herein. »Da, sehen Sie, er heißt Schaut in die Tiefe, wo sich das Dunkel verdichtet. Hier sind die ersten Seiten des französischen Originals. Lesen Sie selbst und sagen Sie, ist das nicht ein unerhörter Schwindel? Ermes Marana hat Wort für Wort diesen billigen Groschenroman übersetzt und dann uns gegenüber behauptet, er sei aus dem Kimmerischen, aus dem Kimbrischen, aus dem Polnischen. «
Du blätterst rasch die Fotokopien durch und siehst auf den ersten Blick, daß dieser Bertrand Vandervelde, Regardez en bas dans l'epaisseur des ombres, nichts zu tun hat mit einem der vier Romane, die du hast abbrechen müssen. Du willst Cavedagna sofort darauf hinweisen, aber da zieht er ein Blatt aus dem Bündel und hält es dir hin: »Wollen Sie sehen, was dieser Marana zu schreiben die Stirn hatte, als wir ihm seine Fälschung vorhielten? Hier ist sein Brief.« Er zeigt auf einen Absatz, den du lesen sollst:
»Was besagt schon der Name des Autors auf dem Buchdeckel? Versetzen wir uns doch einmal dreitausend Jahre voraus in die Zukunft. Wer weiß, welche Bücher aus unserer Zeit dann erhalten geblieben sein werden, von welchen Autoren man noch den Namen kennt? Manche Bücher werden noch immer berühmt sein, aber man wird sie als anonyme Werke betrachten, wie wir das Gilgamesch-Epos; manche Autoren wird man dem Namen nach schon noch kennen, aber von ihren Werken wird nichts erhalten geblieben sein, wie bei Sokrates; oder vielleicht wird man alle erhaltenen Bücher einem einzigen mythischen Autor zuschreiben, wie Homer.«
»Merken Sie, wie geschickt der Kerl argumentiert?« ruft Cavedagna aus. »Und das Tollste ist, er könnte sogar noch recht haben. «
Der alte Herr schüttelt den Kopf, halb schmunzelnd, halb seufzend, als wäre ihm plötzlich ein Gedanke gekommen. Welcher Gedanke das sein mag, kannst du, Leser, ihm vielleicht an der Stirn ablesen. Seit Jahrzehnten ist Cavedagna mit Büchern beschäftigt, hilft ihnen Stück für Stück ans Licht, sieht sie Tag für Tag entstehen und vergehen, und doch sind die wahren Bücher für ihn die anderen, die Bücher aus jener Zeit, als sie ihm wie Botschaften aus einer anderen Welt erschienen. Ebenso die Autoren: Tagtäglich hat er mit ihnen zu tun, kennt ihre Schwächen, Verbohrtheiten, Unschlüssigkeiten und Egomanien, und doch sind die wahren Autoren immer noch jene, die damals für ihn nur ein Name auf dem Buchdeckel waren, ein Wort, das mit dem Titel zu einer Einheit verschmolz, Autoren, die ein und dieselbe Realität besaßen wie die Personen und Orte in ihren Büchern, Wesen, die ganz wie jene Personen und Orte zugleich existierten und nicht existierten. Der Autor war ein unsichtbarer Punkt, aus dem die Bücher kamen, ein leerer Raum, durchzogen von Phantasien, ein unterirdischer Tunnel, der die anderen Welten mit dem Hühnerstall seiner Kindheit verband.
Man ruft nach ihm. Er zögert einen Moment, ob er die Fotokopien wieder an sich nehmen oder sie dir überlassen soll. »Passen Sie auf, dies ist ein wichtiges Dokument, es darf unter keinen Umständen aus dem Haus, es ist das Corpus delicti, vielleicht führt es eines Tages zu einem Plagiatsprozeß. Wenn Sie es durchsehen wollen, nehmen Sie bitte an diesem Schreibtisch Platz, und denken Sie dran, mir's zurückzugeben, auch wenn ich's vergessen sollte. Wehe, wenn es verlorenginge. «
Du könntest ihm sagen, er solle sich keine Sorgen machen, dies sei sowieso nicht der Roman, den du suchst, doch einerseits reizt dich der Anfang und andererseits ist der vielbeschäftigte Lektor, zunehmend sorgenvoll, schon wieder vom Strudel seiner Verlagsgeschäfte davongeschwemmt worden. So bleibt dir nichts anderes übrig, als dich hinzusetzen und Schaut in die Tiefe, wo sich das Dunkel verdichtet zu lesen.
Schaut in die Tiefe, wo sich das Dunkel verdichtet
Vergeblich zog ich den Plastiksack hoch, er reichte gerade bis an den Hals von Jojo, der Kopf blieb draußen. Die andere Möglichkeit war, ihn Kopf voran in den Sack zu stecken, aber das löste mein Problem nicht, weil dann die
Weitere Kostenlose Bücher