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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Grund, warum ich zum Denken Spiegel brauche: Ich kann mich nur konzentrieren, wenn ich von Spiegelbildern umgeben bin, als brauche mein Geist ein imitierbares Vorbild, um seine Spekulationsfähigkeit zu aktivieren. (Das Wort Spekulation nimmt hier alle seine Bedeutungen an: Ich bin ein denkender Mensch und zugleich ein Geschäftsmann, außerdem sammle ich optische Apparate.)
    Ich brauche nur in ein Kaleidoskop zu blicken, und schon spüre ich, wie mein Geist, inspiriert von jenem Zusammenströmen und Konvergieren heterogener Linien- und Farbfragmente zu homogenen Figuren, sogleich das Verfahren entdeckt, dem er folgen muß - und sei's auch nur die so zwingende wie flüchtige Offenbarung einer rigorosen Konstruktion, die beim geringsten Antippen der Röhrenwand mit dem Fingernagel zerfällt, um durch eine andere ersetzt zu werden, in der sich dieselben Elemente zu einem ganz neuen Gebilde zusammenfügen.
    Schon seit ich, noch kaum den Kinderschuhen entwachsen, zum ersten Male entdeckte, wie sehr die Betrachtung der gläsernen Gärten, die auf dem Grunde von Spiegelbrunnen wirbeln, meine Fähigkeit zu praktischen Entscheidungen und gewagten Prognosen beflügelt, sammle ich Kaleidoskope. Die relativ junge Geschichte dieses Gegenstandes (das Kaleidoskop wurde im Jahre 1817 von dem schottischen Physiker Sir David Brewster, Autor unter anderem eines Treatise on New Philo-sophical Instruments, zum Patent angemeldet) zog meiner Sammlung enge zeitliche Grenzen. Doch früh schon richtete ich mein Augenmerk auf eine antiquarische Spezialität von weit höherem Rang und stärkerer Suggestion: auf die katoptrischen Apparate des 17. Jahrhunderts, kleine Schaubühnen von diverser Machart, die eine Figur vervielfacht zeigen, je nach Anzahl und Stellung der sie umgebenden Spiegel. Mein Ziel ist eine vollständige Rekonstruktion der Sammlung des Jesuiten Athanasius Kircher, der nicht nur Autor einer Ars magna lucis et umbrae (1646) war, sondern auch Erfinder eines »polydyptischen Theaters«, in welchem fünf Dutzend Spiegelchen, die das Innere einer großen Schachtel auskleiden, einen Zweig in einen Wald verwandeln, einen Bleisoldaten in eine Armee und ein Büchlein in eine Bibliothek.
    Die Geschäftsleute, denen ich vor Sitzungen meine Kollektion zeige, betrachten diese ausgefallenen Apparate mit oberflächlicher Neugier. Sie wissen nicht, daß ich mein Finanzimperium nach genau dem Prinzip der Kaleidoskope und katoptrischen Apparate aufgebaut habe, indem ich wie auf einem Schachbrett kapitallose Gesellschaften multiplizierte, Kredite ins Riesenhafte vergrößerte und katastrophale Passiva im toten Winkel täuschender Perspektiven verschwinden ließ. Mein Geheimnis, das Geheimnis meiner ununterbrochenen finanziellen Erfolge in einer Zeit, die so viele Krisen, Bankrotts und Börsenkräche erlebte, ist immer dies gewesen: Ich dachte niemals direkt an das Geld, an die Geschäfte und die Profite, sondern immer nur an die Brechungswinkel zwischen unterschiedlich geneigten schimmernden Flächen.
    Mein Ebenbild ist es, das ich vervielfachen möchte, aber nicht aus Narzißmus oder Größenwahn, wie man allzu leicht annehmen könnte, sondern um, ganz im Gegenteil, inmitten so vieler vorgegaukelter Trugbilder meiner selbst das wahre Ich, das sie alle bewegt, zu verbergen. Darum hätte ich, wäre nicht meine Furcht, mißverstanden zu werden, auch nichts dagegen, in meinem Hause jenes von Kircher projektierte ganz mit Spiegeln ausgekleidete Zimmer zu rekonstruieren, um mich darin kopfunten an der Decke spazieren und aus der Tiefe des Bodens auffliegen zu sehen.
    Auch die Seiten, die ich hier schreibe, müßten den kalten Glanz einer Spiegelgalerie ausstrahlen, in welcher sich eine begrenzte Zahl von Gestalten endlos bricht und verkehrt und vervielfacht. Wenn meine Gestalt in alle Richtungen auseinandergeht und sich in allen Ecken verdoppelt, so tut sie das, um meine Verfolger zu narren. Ich bin ein Mann, der viele Feinde hat, vor denen er dauernd fliehen muß. Wenn sie glauben, mich erreicht zu haben, werden sie nur eine Glasfläche treffen, auf welcher eine der vielen Spiegelungen meiner Allgegenwart erscheint und vergeht. Ich bin auch ein Mann, der seine zahlreichen Feinde verfolgt, indem er sie von allen Seiten umstellt, mit unerbittlichen Schlachtreihen gegen sie vorrückt und ihnen, wohin sie sich auch wenden mögen, den Weg abschneidet. In einer katoptrischen Welt können zwar auch meine Feinde glauben, daß sie mich von allen Seiten

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