Wenn ein Reisender in einer Winternacht
stattfinden sollte, und um den Punkt zu bestimmen, an dem ich meinen Feinden hätte zuvorkommen können, um ihren Plan zu meinen Gunsten zu wenden. Alles schien mir bestens gesichert, der magische Spiegel bündelte alle finsteren Mächte und stellte sie in meinen Dienst. Ich hatte nicht mit einem dritten Entführungsplan von Seiten Unbekannter gerechnet. Wer waren sie?
Zu meiner großen Überraschung brachten mich die Entführer nicht in ein geheimes Versteck, sondern zu mir nach Hause und sperrten mich in das katoptrische Zimmer, das ich so sorgfältig nach den Zeichnungen des Athanasius Kircher rekonstruiert hatte. Die Spiegelwände warfen mir mein Ebenbild unendlich vervielfacht zurück. War ich von mir selbst entführt worden? Hatte sich eins meiner in die Welt projizierten Bilder an meine Stelle gesetzt und mich in den Rang eines Spiegelbildes verwiesen? Hatte ich den Herrn der Finsternis angerufen, und nun erschien mir dieser in meiner eigenen Gestalt?
Auf dem Spiegelglasboden liegt ein weiblicher Körper, gefesselt. Es ist Lorna. Bei der geringsten Bewegung multipliziert sich ihr nacktes Fleisch, tausendfach wiederholt, in allen Spiegeln. Ich stürze zu ihr, um sie zu befreien von den Fesseln und Knebeln, um sie zu umarmen; aber da faucht sie mich wütend an: »Glaubst du, jetzt hättest du mich in der Hand? Du irrst dich!« und schlägt mir die Nägel ins Gesicht. Ist sie mit mir gefangen? Ist sie meine Gefangene? Ist sie mein Gefängnis?
Unterdessen hat sich eine Tür aufgetan. Eintritt Elfrida. »Ich wußte, in welcher Gefahr du schwebtest, und konnte dich gerade noch retten«, sagt sie. »Die Methode war vielleicht etwas brutal, aber ich hatte keine Wahl. Nur finde ich jetzt nicht mehr aus diesem Spiegelkäfig hinaus. Rasch, sag mir, wo ist der Ausgang?«
Ein Auge und eine Braue Elfridas, ein Bein im hautengen Stiefel, ein Winkel ihres schmallippigen Mundes mit den zu weißen Zähnen, eine beringte Hand, die einen Revolver hält, wiederholen sich endlos, von den Spiegeln ins Riesenhafte vergrößert, und zwischen diese verzerrten Fragmente ihrer Erscheinung schieben sich Teile von Lornas Haut, gewaltig wie Fleischlandschaften. Schon weiß ich nicht mehr zu unterscheiden, was zu der einen und was zu der anderen gehört, ich verliere mich, ja mir scheint, ich habe mich selbst verloren, ich kann mein Spiegelbild nicht mehr sehen, nur noch die ihren. In einem Fragment von Novalis findet ein Eingeweihter die geheime Stätte der Isis, dringt ein und lüftet den Schleier der Göttin. .. Mir ist, als wäre jetzt alles, was mich umgibt, ein Teil von mir, als wäre ich endlich das Ganze geworden, das All. ..
VIII
Aus dem Tagebuch des Silas Flannery
In einem Liegestuhl auf der Terrasse eines Chalets unten im Tal liegt eine Frau und liest. Jeden Tag, bevor ich mich an die Arbeit setze, betrachte ich sie eine Weile durchs Fernglas. In dieser klaren und dünnen Bergluft ist mir, als könnte ich an ihrer reglos daliegenden Gestalt die Zeichen der Bewegung des Lesens wahrnehmen, das Gleiten des Blicks, das Strömen des Atems, aber mehr noch den Durchlauf der Worte durch die Person, ihr Fließen und Stocken, die Anläufe, die Verzögerungen, die Pausen, die bald konzentrierte, bald erlahmende Aufmerksamkeit, den ganzen scheinbar so gleichförmigen, doch immer so wechselhaften und ereignisreichen Verlauf.
Seit wie vielen Jahren kann ich mir schon kein unbefangenes Lesen mehr leisten? Wie lange schon will es mir nicht mehr gelingen, mich in das Buch eines anderen zu vertiefen, einfach so, ohne jeden Zusammenhang mit dem, was ich schreiben muß? Ich drehe mich um und sehe den Schreibtisch, der auf mich wartet, die Schreibmaschine mit dem frisch eingespannten Bogen, das neue Kapitel, das mich gebieterisch ruft. Seit ich ein Zwangsarbeiter des Schreibens geworden bin, ist mir die Lust am Lesen vergangen. Mein Tun zielt auf den Seelenzustand der Frau dort unten im Liegestuhl, die mein Fernglas erfaßt, und genau dieser Seelenzustand ist mir versagt.
Jeden Tag, bevor ich mich an die Arbeit setze, betrachte ich diese lesende Frau und sage mir: Das Ergebnis der widernatürlichen Anstrengung, die ich beim Schreiben auf mich nehme, müßte der Atem dieser Leserin sein, der zu einem natürlichen Vorgang gewordene Akt des Lesens, der Fluß, der die Sätze in den Filter ihrer Aufmerksamkeit treibt, wo sie einen Moment lang verweilen, bevor sie von den Stromkreisen ihres Geistes absorbiert werden und verschwinden,
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