Wenn er mich findet, bin ich tot
Name war Ingo Feist«, sagt Hultmann, als sei nichts vorgefallen.
Ingo Feist. Sagt mir nichts. Kolja hält mir ein Glas hin. Ich spüle mir den Mund aus und zucke mit den Achseln.
»Er ist 37 und kommt aus Frankfurt.«
»Sandra auch«, sagt Kolja leise.
Nicht nur Sandra – Cem, Nils und Ben ebenfalls. Paolound Sam stammen aus dem Ruhrpott, Lars aus Freiburg und Kolja, Jana und Vanessa aus Jena und Umgebung. Ich aus Berlin. Besser gesagt, das Heim, in dem ich vor dem Camp lebte, ist in Berlin.
»Zusammenhang oder Zufall, alles ist möglich«, sagt Hultmann. »Ist der Name Ingo Feist mal im Gespräch gefallen?«
Niemand weiß was. Mieto/Hultmann fragen alle im Camp und zeigen eine Kopie des Passbildes herum. Niemand hat ihn gesehen oder kennt ihn oder hat von ihm gehört. Doch alle sind von der Übereinstimmung Frankfurt irritiert.
IIII IIII IIII IIII IIII IIII IIII IIII III
Seit Sandras Tod kratze ich Striche ins Eis der Lokustrennwand. Am Tag, als das Bergfest nicht stattfand, am schrecklichen Tag Nr. 49 im Containercamp, habe ich damit angefangen. I
IIII IIII IIII III Tage liegen noch vor mir. In achtzehn Tagen ist Eröffnung, und bis dahin müssen noch zwei wichtige Sachen erledigt werden. Beide kann ich nicht machen, also müssen meine »Brüder« ran.
»Kannst du mir einen Gefallen tun?«, frag ich Paolo.
»Sicher, wenn ich ’ne reelle Überlebenschance hab.«
»Im Aurora Linna Icehotel liegt das Gästebuch der letzten Saison. Ungefähr am Ende des ersten Drittels ist ein Eintrag mit violetter Tinte, sehr schwungvoll über beide Seiten. Kannst du den möglichst genau so abpinseln?«
»Wieso?«
»Weil ich die Obergestörte bin. Ich bin aus den Latschen gekippt, als ich den Eintrag gesehen habe, undkonnte ihn nicht mehr entziffern. Er ist auf Englisch«, sag ich schroffer, als ich will.
»Dich hat’s umgeschmissen, weil du kein Englisch lesen kannst?«
»Nein, es hat mich an etwas erinnert.«
»Muss ja eine schöne Erinnerung gewesen sein.«
Ich hätte die Schnauze halten sollen. »Vergiss es.«
»Was ist gegen Abfotografieren einzuwenden?«
»Du hast doch keine Kamera?«
»Nee, aber ’n Handy.«
Das muss ich erst mal verdauen. Das vereinfacht alles. »Gut. Kannst du rauskriegen, ob diese Nummer«, ich halte ihm den Zettel hin, »Ingo Feist gehört hat?«
Mithilfe seiner Finger kommt Paolo auf »Zwei! Das sind zwei Gefallen, Tilly. Eins – Gästebuch, zwei – die Nummer.« Paolo kann einem auf die Nerven gehen. »Zwei Gefallen, das bedeutet, du übernimmst zweimal meinen gesamten Küchendienst.«
»Okay.«
»Wie bist du an die Nummer gekommen? Wo hast du die her?«, fragt Kolja.
Ich sag nur: »Müsst ihr neuerdings immer alles zweimal sagen? Das nervt.« Da er seine Beschaffungsquellen nie preisgibt, kriegt er auch von mir keine Antwort. »Man darf dich nicht zurückverfolgen können.« Das geht an Paolo.
Er, empört: »Bin ich blöd oder was? Feist ist ein Mörder und eine Wasserleiche. Den ruf ich nicht an! Außerdem hat sein Handy ’n Wasserschaden, du Obergestörte.«
Paolo hat das neueste Smartphone von Nokia. Will nicht wissen, wo oder wem er es geklaut hat.
Keine Stunde braucht er, um herauszufinden, dass hinter der Nummer eine gewisse Firma namens GDS steckt. Gesamtdeutsche Security . Ingo Feist wird auf der GDS-Webseite im Zusammenhang mit der Firma nicht erwähnt.
Klingt finster, Gesamtdeutsche Security . Ich bin mir sicher, ich hab noch nie was von denen gehört.
»Die Firma hat ihren Sitz in Berlin und Frankfurt.«
Ich krieg weiche Knie. Keine Ahnung, wieso.
»Läutet da was bei dir?«, will Paolo wissen.
»Nein, nur bei Berlin und Frankfurt läutet es, sonst läutet gar nichts.«
»Warum wirst du dann so käsig?«
»Keinen blassen Schimmer, ehrlich. Wo denn in Berlin?«
»Kirchstraße, in der Nähe vom Innenministerium. Sagt dir das was?«
Ich schüttle den Kopf. »Was für Sachen bewachen die?«
»Geldtransporte, Industriegelände, Gewerbegebäude und private Häuser der nobleren Art, Personen, einfach alles.«
Überhaupt kein Gefühl von Sicherheit weckt die Gesamtdeutsche Security bei mir. GDS, den Namen werde ich nie mehr vergessen. Vielleicht sollte ich sie anheuern, um mich selbst vor ihnen zu beschützen? Wieso wollen die mich umbringen? Oder meine Mutter fragen, wo ich bin? Und nachhaken, ob sie weiß, dass ich tot bin? Kein Mensch außer Ingo Feist kann das angenommen haben. Im Camp und bei der Polizei
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