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Wenn er mich findet, bin ich tot

Wenn er mich findet, bin ich tot

Titel: Wenn er mich findet, bin ich tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Rapp
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Leitung des Eishotels. Der Küchencontainer und Becks Container bleiben auf demGelände, alle anderen werden abgeholt. Dann kommen die Gäste. Die zahlenden Gäste. Da kann man schon den Blues kriegen.
    Ich schleiche um Paolo rum, suche nach einer Gelegenheit, dass wir uns wenigstens zum Knutschen verdrücken können, aber er verhindert es, indem er mir aus dem Weg geht. Das macht mich ein bisschen ratlos. Wenn ich ehrlich bin, irritiert es mich wahnsinnig. Ich kapier das nicht. Bereut er, dass wir uns so nahgekommen sind?
    Ich halte mich an Kolja. Für die anderen verläuft das Fest einträchtig und friedlich. Wir stehen da, hauchen erst mal nur so rum und glotzen unsrem Atem nach. Unsre Betreuer reichen Beerenpunsch mit Alkoholgehalt im homöopathischen Bereich. Paolo legt auf und heizt ein, bis wir alle, trotz massiver Behinderung durch unsre Polarklamotten, rumzappeln wir die Doofen. Mit Ausnahme von Akne-Sam, der uns mit tänzerischer Anmut verzaubert. Wehmut wabert mit unserem Atemhauch durch den Raum. Abschiedsschmerz und Rührung reizen die Augen, wir sehen uns kaum noch an, geschweige denn in die Augen. Ich lass mir von Riski finnisches Tango gehen beibringen, der mit Abstand schrägste Paartanz, um Leidenschaft auszudrücken. Die spinnen, die Finnen. Total.
    Paolo sieht mich nicht an.
    Um elf reißen wir die Mäuler bis zum Anschlag auf. Der Atem lässt die Gesichter im Nebel verschwinden. Gespenstisch. Mir ist schwindelig vor Müdigkeit, aber ich will mich nicht in meinem Polarsack auf den Eisblock legen. Sobald alles still ist, denke ich an Sandra, spüre ihre Gegenwart. Dann denke ich, dass sie für mich geopfertworden ist, und schäme mich. Ich schäme mich vorm Schnee, vor der Nacht, vor allem. Auch vor Paolo, er verunsichert mich total. Sandra fehlt mir. Sie fehlt mir so brutal, dass ich mich nicht einmal hinsetzen kann. Ich muss in Bewegung bleiben. Kolja geht’s genauso. Ja nicht in seine Richtung gucken und erst recht nicht zu Paolo. Besser, ich geh raus, eine Runde Frischluft ohne Nordlicht schnuppern.
    Nur schwarze Nacht, bedeckter Himmel, keine Sterne.
    »Komm rein.« Riski will tanzen. »Noch ’n Tango!«
    Paolo ist weiter weg von mir als der Polarstern.
    Gepackt. Fünf Minuten reichen, um meinen Kram im Rucksack zu versenken. Jetzt noch die Panikbücher, mittlerweile fünf an der Zahl, und die Turnschuhe oben drauf …
    »Was hast ’n da?«
    Kolja langt über meine Schulter und grapscht nach dem obersten Tagebuch.
    »Raus! Klopf gefälligst am Spind, bevor du mir über die Schulter glotzt, du Arsch!« Mit voller Wucht hole ich aus und pfeffre Kolja meinen Turnschuh gegen die Brust. Er stolpert rückwärts und ich stopfe schnell die Schuhe in den Rucksack. Mein Puls rast.
    »Du bist total durchgeknallt!«, schreit Kolja. Er ist schockiert.
    »Ihr habt sie beide nicht alle! Könnt ihr euren Scheiß nicht in Ruhe packen?«, mischt sich Paolo ein. Und zu mir: »Schmeiß nicht mit Sachen, Obergestörte. Klar?«
    Seine Stimme klingt fremd, kühl, distanziert, als würde er mich nicht kennen.
    Räuspern an der Tür. Soz. Päd. Beck: »Wollt ihr immer noch zu dritt zu mir ziehen?«
    Zweimal ein überzeugtes »Ja!!«
    Ich weiß nicht. Ich bin durcheinander.
    »Freut mich. Ich soll von Riski ausrichten, dass er noch einen Trainingslauf mit Tilly machen will.«
    »Bin fertig!«, ruf ich aus meinem Kabuff. »Warte!« Ich zerre den Rucksack am Riemen zur Tür. Die Langlaufsachen hab ich an. »Kannst du den mitnehmen?«
    »Ach, du bist schon fertig. Sehr gut, Riski wartet auf dich.«
    Ich renne zum Skiplatz. Nach dem Essen holt uns der Bus ab. Am Nachmittag fliegen wir von Ivalo nach Helsinki, übernachten da, und morgen geht’s dann »heim« ins Heim für vier Tage. Dort hol ich den Rest meiner übersichtlichen Habe ab, und dann ziehe ich mit Paolo und Kolja zu Beck. Ich überleg, was ich ihnen zu Weihnachten schenken könnte. Vielleicht einen Hund, mit dem ich laufen gehen kann? Das wäre ein super Geschenk.
    Ich atme tief und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Riski hat ein unheimliches Tempo drauf. Er läuft, als wär der Teufel hinter ihm her. Dabei bin’s bloß ich.
    Mit Bedacht hat er eine Strecke ausgewählt, die sowohl von Sandras Schneegrab als auch vom Fluss weit entfernt ist. Alles schimmert blau. Mein Herz schlägt schnell und stark. Ich überhole ihn.
    »Tilly!« Riski stemmt die Hände auf die Oberschenkel und lässt die Skier auslaufen. Und dann lädt er mich ein. »Du kannst kommen,

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