Wenn es daemmert
wollte es wohl nicht. Schließlich kam er aus einer ganz anderen Gesellschaftsschicht.« Sie lächelte freudlos. »So viel zum Thema Revolte. Wir dachten ununterbrochen in Klassen. Aber James war bei der Royal Air Force, wie mein Vater, und wollte dort Karriere machen. Seine Wertvorstellungen – ganz wie die meines Vaters. Eines Tages drehte sich alles nur noch ums Heiraten und Kinderkriegen, und ich sah mich als Hausfrau und Mutter. Ich sah mich als meine Mutter!«
»Das kenne ich«, seufzte Mina.
»Ich sah es genau vor mir: ohne eigenen Beruf, ohne eigene Identität, immer nur Mrs Irgendwer.«
»Mrs Williams zu sein hat dir aber nichts ausgemacht?«
»Das war etwas anderes, und es war zehn Jahre später. Thomas war anders. Es hat trotzdem nicht funktioniert.« Sie schwieg einen Moment. »Ich hatte riesige Angst, mit James meinen eigenen Vater zu heiraten.«
Mina dachte an James Cunningham: steile Karriere in der Royal Air Force. In seiner Freizeit: Golf, Jagen, Empfänge, wichtige Leute hier, wichtige Leute dort. Ziemlich genau das Leben, das auch ihr Großvater geführt hatte. Nur, dass James nicht adelig war.
»Ich verstehe dich gut. Es hätte nicht funktioniert. Du wärst unglücklich geworden.« Mina nickte mit Nachdruck, während sie das sagte.
»Danke, dass du es verstehst.«
»Du hättest es mir einfach nur ein paar Jahre früher erzählen müssen.« Mina sah zerstreut an ihrer Mutter vorbei aus dem Fenster. Draußen fuhr ein schwarzer Range Rover vorbei.
»Wann denn? Zuerst warst du zu klein, und irgendwann war der richtige Zeitpunkt schon wieder vorbei, und ich war dauernd unterwegs, du warst unterwegs … Findest du, dass ich alles falsch gemacht habe mit dir?«
Der Range Rover hatte offenbar gewendet und fuhr nun aus der entgegengesetzten Richtung am Haus vorbei, diesmal allerdings viel langsamer. Das Beifahrerfenster wurde heruntergelassen, und Mina registrierte eine Bewegung aus dem Auto heraus.
»Runter!«, schrie sie, rannte zu ihrer Mutter und riss sie vom Sofa, als die Fensterscheibe zersprang. »Raus hier!« Sie zog ihre Mutter aus dem Wohnzimmer über den Flur in die Küche und kauerte sich auf den Boden. Draußen hörten sie Autoreifen quietschen. Der Range Rover fuhr mit voller Geschwindigkeit weg. Ein Mann rief etwas. Im Wohnzimmer war alles ruhig.
»Was war das?«, stöhnte ihre Mutter. »Ich dachte erst, es sei eine Brandbombe.«
Margaret rappelte sich auf und ging vorsichtig ins Wohnzimmer zurück. »Sieht aus wie ein Stein, um den jemand Papier gewickelt hat. Soll ich?«
Mina folgte ihr und lugte ihr über die Schulter. »Vielleicht sollten wir besser die Polizei …«
Es klopfte gegen die Haustür. »Miss Williams? Alles in Ordnung?«, rief eine Stimme, die ihr bekannt vorkam. Eine sehr markante Public-School-Stimme. Eton klang aus jedem einzelnen Vokal. Wo um alles in der Welt kam Cedric Darney her? Sie öffnete ihm die Tür.
»Ist Ihnen etwas passiert?«, fragte er atemlos.
»Nein, nein, danke. Was machen Sie hier?« Sie konnte die Frage nicht zurückhalten.
»Ich wollte zu Ihnen«, sagte Cedric wie selbstverständlich, und sie kam sich vor, als hätte sie den Premierminister gefragt, was zum Teufel er in der Downing Street zu suchen hatte.
»Zu mir. Ah.« Hilflos sah sie sich nach ihrer Mutter um, die geduldig darauf wartete, vorgestellt zu werden. Wir Briten und unsere Höflichkeit. Wir würden uns noch auf einem untergehenden Schiff dafür entschuldigen, dass es gerade ein bisschen hektisch zuging, dachte sie.
»Margaret Williams, meine Mutter. Cedric Darney, einer meiner Studenten.«
»Ah, Lady Margaret«, sagte Cedric artig und nickte ihr zu. Er hatte sich über ihre Familie informiert.
»Ich habe mich nie Lady Margaret nennen lassen, und wehe Ihnen, wenn Sie nun damit anfangen. Wenn mich nicht alles täuscht, kenne ich Ihren Vater von ein paar Wohltätigkeitsbällen her, richtig?«
»Sehr wahrscheinlich.«
»Nicht mal er nennt mich so. Ich sage Cedric, Sie sagen Margaret. Haben Sie gesehen, wer unser Fenster mit einem Rugbytor verwechselt hat?«
»Ein Mann in einem schwarzen Range Rover. Aber er war zu schnell weg, als dass ich mir die Autonummer hätte merken können.«
»Es war ein Mann?«, fragte Margaret.
»Ja. Einer.«
»Was machen wir jetzt? Rufen wir die Polizei?«, fragte Mina.
Cedric hob die Schultern. »Wollen Sie nicht erst einmal nachsehen, ob es sich …«, er suchte nach der richtigen Formulierung, »… lohnt?«
»Sie haben
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