Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
Vom Netzwerk:
sich und fiel auf den Boden. Es ist Julian, stellte ich mir vor und schloss die Augen. Julian. Julian. Julian.
    Danach konnte ich mir im Spiegel nicht mehr in die Augen sehen.
    Ich will bei der Wahrheit blieben, hab ich am Anfang versprochen. Die Wahrheit ist manchmal hässlicher als die Lüge.
    Stammt auch von meiner Großmutter.
    An diesem Tag kam das Unwetter nicht näher. Es donnerte und blitzte und es regnete über dem Meer, aber nicht in Küstennähe.
    Wir alle warteten – mehr oder weniger – auf eine Entladung der Atmosphäre.
    Doch es kam nicht. Etwas anderes kam.
    Ein Wendepunkt.
    Du kennst das doch sicher auch, diese Momente im Leben, in denen alles auf den Kopf gestellt werden kann, Momente, in denen eine bestimmte Entscheidung das Leben in die eine oder die andere Richtung verlaufen lässt. Im Nachhinein gesehen war dieses Gewitter ein solcher Augenblick.
    Als wir hinuntergingen, saßen Tammy und Julian einträchtig wie ein Paar auf der Couch. Sie sahen hinaus ins Freie. Die Scheibe der Terrassentür war ja zertrümmert, wir hatten keinen Strom, jetzt müssen wir Wache halten, damit niemand einbricht.
»Alles klar bei euch?«, fragte Claas und steckte die Hände in die Taschen.
    »Tammy hat Angst«, erklärte Julian. Er trug nur seine Badeshorts und ich fühlte mich ertappt. Die Szene im Bad und meine Fantasien im Kopf waren noch allzu präsent – es war, als höhnte Julian mich mit seiner bloßen körperlichen Anwesenheit.
    »Angst vor Gewitter?«, fragte Claas an Tammy gewandt.
    »Quatsch!«, fauchte Tammy. Claas zuckte merklich zurück. Ich lächelte still in mich hinein: War sie etwa eifersüchtig?
    »Tammy meint, jemand beobachtet uns«, sagte Julian ruhig. Dabei legte er den Arm um ihre Schulter.
    Tammy zeigte irgendwo in die Dunkelheit in Richtung Gartenmauer, auf einen Baum, ins Meer, keine Ahnung. Obwohl ich mich anstrengte, sah ich nichts außer den dunklen Schatten von Bäumen und Sträuchern, der Mauer und dem Stückchen Dach vom Nachbarhaus.
    »Ich kann niemanden entdecken«, sagte ich.
    »Dass wir auch kein Licht haben!«, jammerte Tammy. »Wir sind doch total leichte Beute für so eine Bande. Die kommen bestimmt aus Rumänien. Die fackeln nicht lange. Da wird man wegen fünfzig Euro umgebracht!«
    »Vincent kommt ja morgen«, versuchte Julian sie zu beruhigen.
    »Morgen Nachmittag erst«, sagte Tammy.
    »Wenn ich ihn richtig verstanden habe, hat er irgendwas von einer Leitung auf dem Dach gesagt, die wir überbrücken können. Wir könnten ja mal nachsehen«, meinte Julian und erhob sich. »Vielleicht hat ja bloß eine Maus unter dem Dach ein Kabel durchgefressen.«
    »Wir haben Mäuse unter dem Dach?« Tammy verzog das Gesicht.
    »Ich hab schon von Leuten gehört«, fing ich an zu fantasieren, »die hatten eine Riesenschlange da oben unterm Dach, klar, weil sie bestens mit Mäusen versorgt war. Praktisch, oder?« Ich grinste in die Runde.
    »Jetzt übertreib mal nicht!«, meinte Julian und warf mir einen kurzen, strafenden Blick zu.
    »Habt ihr da oben eigentlich schon mal nach diesem verschwundenen Schriftsteller gesucht?« Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen, der Anblick von Tammys panischem Gesicht war es allemal wert. Ich bin mir sicher, normalerweise hätte Claas jetzt gelacht.
    Ja, wir gingen mit Taschenlampen auf den alten Dachboden – es war wie in einem schlechten Horrorfilm. Und dies war eine dieser Szenen, von der man schon vorher weiß, dass etwas Schreckliches passieren würde. Nur die mit den Taschenlampen in der Hand, die wissen es noch nicht.
    Julian öffnete eine Luke in der Decke, zog eine Leiter herunter und dann kletterten wir rauf. Julian, Claas und ich. Tammy zog es vor, unten an der Leiter zu warten. Wegen möglicher Mäuse, Schlangen und Skelette dort oben.
    Aber uns erwartete etwas ganz anderes, da oben, unter dem Dach der alten Villa.
    Spinnweben in einem Horrorfilm waren nichts gegen diese dicken dunklen mit Staub behangenen Gewebe. Zugegeben, ich schüttelte mich bei der Vorstellung, mich in ihnen zu verheddern und von riesenhaften, haarigen Spinnen bei lebendigem Leibe aufgefressen zu werden.
    In der Dunkelheit macht sich die Fantasie manchmal selbstständig, das kennst du auch, oder?
    Während Julian und Claas mit der Taschenlampe nach dem möglicherweise defekten Stromkabel suchten, entdeckte ich – im schwachen Schein des Mondlichts, das durch ein klitzekleines, schmutziges Dachfenster hereinfiel, eine aus rohen Brettern gezimmerte

Weitere Kostenlose Bücher