Wenn es Nacht wird in Manhattan
wollen auf die Gefahr hin, eine Faust ins Gesicht zu kriegen – bitte, tun Sie’s. Er hat mich heute schon mal angemotzt, und ich habe keine Lust, mir das noch mal anzuhören.”
Judd betrat Cashs Büro, ohne anzuklopfen, und musterte den älteren Kollegen schweigend, ehe er etwas sagte.
“Du siehst blass aus”, meinte Judd.
Cash schaute nicht hoch. “Ich habe zu tun.”
Judd schloss die Tür und setzte sich auf eine Ecke des Schreibtisches. “Sie hat es ganz bestimmt nicht absichtlich gemacht.”
Cash blitzte ihn angriffslustig an. “Wieso nicht? Bei meiner Ex-Frau war das so.”
Überrascht riss Judd die Augen auf.
“Frauen mögen keine Babys, die sind ihnen zu lästig. Sie wollen Karriere machen.”
“Klar”, erwiderte Judd, der langsam ungeduldig wurde. “Deshalb kümmert sich Tippy jetzt auch um ihren kleinen Bruder.”
Wortlos starrte Cash ihn an. Doch in seinem Gesicht zeigte sich eine Regung.
“Egal, ob sie es absichtlich getan hat – den Jungen trifft keine Schuld”, sagte Judd kalt. Er stieß sich schwungvoll von der Schreibtischkante ab. “Du solltest ihn nicht dafür verantwortlich machen.”
“Ich habe überhaupt nicht mit ihm gesprochen”, verteidigte Cash sich.
Judd schnaubte verächtlich. “Einer deiner Officer hat sich jedenfalls geweigert, ihn durchzustellen, und ihm gesagt, dass du es so angeordnet hast”, entgegnete er. Cash reagierte bestürzt. “Warum meldest du dich nicht bei ihm? Vielleicht hört er dir ja zu. Wenn er dich angerufen hat, kann es ja wohl nur deshalb sein, weil er sich um seine Schwester Sorgen macht.” Durchdringend musterte er seinen Freund. “Sie ist ja bestimmt nicht von alleine schwanger geworden.”
Damit drehte er sich auf dem Absatz um und stapfte wütend aus dem Büro. Cash fühlte sich ziemlich mies. Es war ein Schock für ihn gewesen, von Tippys Schwangerschaft zu erfahren, umso mehr, als sie ihm nichts davon gesagt hatte. Er hatte es aus den Zeitungen erfahren müssen. Noch schockierender war es, als er las, dass sie ihre riskante Szene, die zu ihrer Fehlgeburt führte, freiwillig gedreht hatte. Er hatte ihr gesagt, dass er die Verantwortung übernehmen werde, egal, was passieren würde, aber sie hatte ihn noch nicht einmal angerufen.
Warum sollte sie auch, fragte er sich deprimiert, wenn er nichts unversucht gelassen hatte, um den Eindruck zu erwecken, dass er weder sie noch ihr Kind wollte? Er hätte ihr kaum deutlicher zu verstehen geben können, dass ihm ihre Intimität zuwider war. Tippy hatte sowieso schon zu wenig Selbstbewusstsein, und seine Haltung ihr gegenüber war keine Hilfe für sie gewesen. Rory musste sich wirklich Sorgen machen, wenn er versuchte, ihn bei der Arbeit zu erreichen. Offenbar war Rory nicht wütend auf ihn, und wahrscheinlich hatte er Cash im Verdacht, der Vater des Kindes zu sein.
Aber sein diensteifriger Kollege, eingeschüchtert von Cashs schlechter Laune, hatte Rory erzählt, dass Cash seine Anrufe nicht entgegennehmen würde. Jetzt musste Rory zwangsläufig glauben, dass Cash auch ihn im Stich gelassen hatte.
Er machte sich keine Mühe, den Anruf zu beantworten. Er wollte nicht mit Tippy sprechen oder über sie – noch nicht. Erst musste er mit dem Entsetzlichen, das sie getan hatte, mit sich allein ins Reine kommen. Er wusste, dass ihr die Karriere wichtig war. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass es für sie das Wichtigste auf der Welt war.
Jetzt, da er es wusste, konnte er genauso gut aufhören, sich für das zu hassen, was geschehen war. Ein- oder zweimal hatte er tatsächlich überlegt, zu ihr zurückzugehen und zu versuchen, ihre Beziehung ins Reine zu bringen. Aber dann hatte er den Gedanken wieder fallen gelassen. Er konnte sich nicht dazu zwingen, sein Glück noch einmal zu versuchen. Vielleicht war das auch gut so in Anbetracht der Tatsache, wie sich ihre Beziehung entwickelt hatte. Ihre Karriere war ihr offenbar wichtiger als eine Beziehung, wichtiger sogar als ein Kind. Das war doch der schlagende Beweis dafür, dass sie nichts mehr mit Cash Grier zu tun haben wollte.
Es dauerte einige Wochen, ehe Tippy einigermaßen hergestellt war, um wieder arbeiten zu können. Zum ersten Mal im Leben hatte sie begonnen zu trinken, um die Erinnerungen und den Schmerz zu vertreiben. Sie verbarg es sorgsam vor ihren Kollegen – und vor Rory. Sie hatte ihn seit dem Wochenende nicht mehr gesehen, als Joel ihn nach New York hatte kommen lassen. Inzwischen hatte er ihr gestanden, dass er
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