Wenn es Nacht wird in Manhattan
Überraschenderweise gefiel ihm die Arbeit jedoch sehr gut. Es verschaffte ihm ein Gefühl der Befriedigung, das er beim Militär oder in den Polizeirevieren der Großstädte niemals erlebt hatte. Er kümmerte sich um die Sicherheit der älteren Bürger und organisierte Nachbarschaftshilfen. In Schulen hielt er Vorträge über Drogenmissbrauch. Er unterstützte örtliche und staatliche Behörden im Kampf gegen die Rauschgiftkriminalität. Opfern von Diebstählen sprach er Mut zu. Er tröstete Eltern, die von ihren Kindern im Drogenrausch angegriffen wurden und half ihnen, mit dem Dilemma fertig zu werden, sowohl Opfer als auch Erzieher zu sein. Er half verängstigten Frauen, die vor Gericht gegen ihre brutalen Ehemänner aussagen mussten. Er installierte Polizeistreifen in gefährlichen Bezirken. Er unterrichtete die Einwohner in Waffenkunde und Selbstverteidigung. Er bedrängte Bürgermeister Ben Brady, sich im Stadtrat für bessere Streifenwagen und einen höheren Etat für die Überwachung problematischer Stadtteile einzusetzen.
Aber Brady wollte nicht. Ihm war mehr an seinem Onkel – Senator Merrill – und an der Kampagne für seine Wiederwahl gelegen als an irgendwelchen städtischen Angelegenheiten. Cash trauerte dem letzten Bürgermeister immer noch nach, der wegen eines Herzinfarkts von seinem Amt hatte zurücktreten müssen. Zwar würde Brady es schwer haben, seinen Posten als Bürgermeister zu behalten, nachdem Eddie Cane, der früher einmal ein sehr beliebtes Stadtoberhaupt gewesen war, sich als Gegenkandidat zu Brady hatte aufstellen lassen. Sie waren beide Demokraten. Der Ausgang der Vorwahlen im Mai versprach keine großen Überraschungen. Und der Sieger wäre praktisch konkurrenzlos, wenn er sich im November zur eigentlichen Wahl stellte.
Kaum jemand mochte Brady. Er war engstirnig und tat alles, was Senator Merrill – oder besser gesagt, Julie, die Tochter des Senators – von ihm verlangte. Cash wusste Dinge über die beiden, von denen die meisten Menschen keine Ahnung hatten. Schon bald würde es einen politischen Skandal in Jacobsville geben, der das Rathaus bis in seine Grundmauern erschüttern würde. Abgesehen von diesem Problem mochten die anderen Stadtverordneten – außer zwei, die ergeben zu Brady hielten – und der Stadtdirektor Cash sehr gern und unterstützten ihn bei seinen Projekten. Im Stillen vermutete Cash, dass die beiden Männer von Brady eingeschüchtert wurden. Auch Cashs Kollegen hatten ihn mit der Zeit immer sympathischer gefunden. Allmählich gaben sie ihm das Gefühl, eine große Familie zu sein. Jacobsville wurde für ihn immer mehr zur Heimat. Zum ersten Mal in seinem Leben kam er sich nicht wie ein Außenseiter vor.
Sein Blick fiel auf Tippys Gesicht, das im Schlaf ganz entspannt wirkte. Diese Frau war innerhalb weniger Monate von einer erbitterten Gegnerin zur Geliebten geworden. Ebenso wie er ein Teil ihres Lebens geworden war, gehörte sie nun zu seinem. Er verstand seine eigenen Gefühle nicht mehr. Er war verrückt gewesen nach Christabel Gaines. Ihre Unschuld, ihre Freundlichkeit, ihr Sinn für Humor, ihre Unabhängigkeit und ihre Willensstärke hatten ihn angezogen. Aber Christabel hatte nichts von dem Leben gewusst, das er geführt hatte. Sie hätte ihn wegen seiner Albträume und seiner schrecklichen Vergangenheit bemitleidet, aber verstanden hätte sie ihn nie. Im Gegensatz zu Tippy. Sie war zwar nie im Krieg gewesen, aber die Erlebnisse ihrer Jugend hätten sie empfänglich gemacht für das, was er durchgemacht hatte.
Komisch, dachte er, dass er so sicher gewesen war, eine selbstbewusste, sexuell erfahrene Frau vor sich zu haben, als er ihr das erste Mal begegnet war. Er war davon überzeugt gewesen, dass sie ein Männer verschlingender Vamp war. Doch in Wirklichkeit war sie eine zerbrechliche, verletzliche Persönlichkeit, die sich trotz aller Widrigkeiten ihren Platz im Leben erkämpft hatte. Sie besaß Stärke, und Menschen, die sie mochte, konnten sich ihres unerschütterlichen Schutzes sicher sein. Dabei war ihre turbulente Jugend voller Schmerz und Schrecken gewesen.
Er war sich nicht sicher, ob er mit ihr jemals über die dunklen Flecken in seiner Vergangenheit würde reden können. Diese Jahre waren voller Gewalt und frei von Mitgefühl gewesen. Doch falls er es konnte, würde es sie bestimmt nicht abschrecken, davon war er überzeugt. Selten hatte er ein solches Einfühlungsvermögen erlebt, wie er es bei ihr kennengelernt hatte – und dazu
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