Wenn es Nacht wird in Miami
wandte sich auf dem Korridor nach links. Carly sah ein Stück weiter eine Tür offen stehen. Sie erkannte das mit grünem Damast bedeckte Fußende eines großen Bettes. Dass Mitchs Schlafzimmer so nahe bei ihrem lag, war ihr unangenehm. Eigentlich wollte sie bei offener Tür schlafen, damit sie hörte, wenn Rhett wach wurde.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, drehte er sich noch einmal um und sagte: „Falls Sie nachts häufiger herumgeistern, tun Sie sich keinen Zwang an. Meine Tür bleibt verschlossen.“
Die Bemerkung trieb Carly das Blut in die Wangen. Aber bevor ihr eine passende Antwort einfiel, war Mitch schon in seinem Zimmer verschwunden.
So ein Idiot, dachte Carly, schämte sich aber gleichzeitig dafür, dass ihr Herz jedes Mal schneller schlug, wenn er in der Nähe war. Ach, vergiss es, dachte sie. Er ist sowieso nicht dein Typ. Nach diesem anstrengenden Tag wollte sie endlich ruhig schlafen – wenn ihr das gelang.
Als Mitch am nächsten Morgen auf dem Weg zum Esszimmer war, hörte er, wie in der Küche gelacht wurde. Wie angewurzelt blieb er stehen. Dann ging er dem Geräusch nach.
Er musste sich verhört haben.
An der halb geöffneten Küchentür hielt er inne, lauschte und stellte fest, dass er sich nicht getäuscht hatte. Das Lachen kam von Mrs. Duncan. Mrs. Duncan war Haushälterin in Kincaid Manor und gehörte gewissermaßen zum Inventar des Hauses. Sie arbeitete hier, solange Mitch zurückdenken konnte. Aber noch nie in seinem Leben hatte er diese Frau lachen hören.
Was Mitch gleich darauf zu Gesicht bekam, war nicht weniger erstaunlich. Mrs. Duncan saß vor Rhetts Hochstuhl auf einem Hocker und machte Hubschraubergeräusche, während sie dem Kleinen löffelweise Brei in den Mund schob. Als sie Mitch in der Tür stehen sah, hörte sie schlagartig auf, und ihre Züge nahmen wieder den undurchdringlichen Ernst an, den er von ihr gewohnt war.
„Guten Morgen, Mr. Kincaid“, sagte sie und stand auf. „Es tut mir leid, Sir. Ich hatte nicht bemerkt, dass Sie schon auf Ihr Frühstück warten. Ich bringe es Ihnen sofort.“ Sie reichte die Schüssel mit dem Brei an Carly weiter.
Erst jetzt fiel Mitchs Blick auf Carly. Sie hatte an diesem Morgen das Haar nicht nach hinten gebunden, wie er es von ihr kannte, sondern trug es offen. Es war schulterlang, wie er es vermutet hatte, und leuchtete golden in den Strahlen der Morgensonne, die schräg durchs Küchenfenster fielen.
„Guten Morgen, Mitch“, begrüßte sie ihn gut gelaunt. Nachtragend scheint sie wenigstens nicht zu sein, dachte er. Und da war es wieder, dieses Lächeln, das ihm schon gestern aufgefallen war. Es war so herzerwärmend, dass man alles andere darüber vergessen konnte. Trotzdem durfte er sich davon nicht täuschen lassen. Vielleicht war sie bloß eine bessere Schauspielerin als ihre Schwester.
Er musste auf der Hut sein. Letzte Nacht war Mitch das Einschlafen schwergefallen, nachdem er Carlys lange Beine gesehen hatte, als sie sich im Kinderzimmer über das Kinderbett beugte. Das Nachthemd, das sie trug, war eher ein weißes T-Shirt in Übergröße und so verwaschen, dass es beinahe durchsichtig war. Ihre dunklen Brustspitzen waren gut zu erkennen. Er interessierte sich doch nicht wirklich für sie? Was sollte ihm an dieser Frau liegen? Es war lange her, dass Mitch mit einer Frau geschlafen hatte. Nur damit konnte er sich seine Reaktion auf Carly erklären. Aber ausgerechnet sie durfte es nicht sein.
Carly deutete auf ihr Frühstück. „Della hat mir heute ihr Spezialmüsli mit Äpfeln, Rosinen und Zimt gemacht. Haben Sie es mal probiert? Es ist köstlich.“
Della? Wer um alles in der Welt war Della?
„Mr. Kincaid bevorzugt ein kräftiges Frühstück mit Eiern und Speck“, bemerkte Mrs. Duncan trocken.
Mrs. Duncan … Della. Mitch konnte es nicht fassen. Zeitlebens kannte er diese knorrige Haushälterin, die Rand und er früher immer den „Wachhund“ genannt hatten. Mitch war noch nie auf die Idee gekommen, dass sie einen Vornamen haben könnte, woran Mrs. Duncan in ihrer unnachahmlich unnahbaren Art allerdings einen entscheidenden Anteil hatte. Miss Carly Corbin hingegen kam hereinspaziert und brauchte nicht einmal vierundzwanzig Stunden, um mit Mrs. Duncan per du zu sein.
Carly verzog das Gesicht. „Das ist aber gar nicht gesund, viel zu viel Cholesterin.“
„Machen Sie sich um meine Gesundheit keine Sorgen“, erwiderte Mitch kalt, „die ist hervorragend. Warum frühstücken Sie nicht im
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