Wenn es Nacht wird in Miami
Esszimmer?“
„Ich glaube, das ist nicht die richtige Umgebung für den kleinen Dreckspatz hier.“
„Ich sag ja, dass ein Kindermädchen besser wäre. Dann könnten Sie jetzt in Ruhe essen.“
„Unser gemeinsames Frühstück ist eines unserer Lieblingsrituale. Das lassen wir uns nicht nehmen, nicht wahr, mein kleiner Hobbit?“
Carly gab Rhett ganz sacht einen Nasenstüber mit der Fingerspitze, und der Kleine quietschte vor Vergnügen. Mitch musste an die beiden Kinder denken, die es früher in seinem Leben gegeben hatte. Die Erinnerung an sie schmerzte immer noch.
„Außerdem ist es schön hier in der Küche. Mir gefällt der Blick auf die Terrasse und den Garten. Ich habe schon zu Della gesagt, man sollte ein Vogelhäuschen dort aufstellen. Rhett wäre begeistert. Er liebt Vögel, besonders Kolibris. Wir besorgen einfach ein Vogelhäuschen, wenn wir heute Nachmittag zur Kirche gehen.“
Sie ging zur Kirche? Vermutlich um dem Fegefeuer zu entgehen, das sie erwartet, dachte Mitch gehässig. Unverzeihlicher Sünden wegen – etwa von der Art, nachts in einem halb durchsichtigen Hemd durchs Haus zu laufen.
Carly sah ihn mit ihren schönen braunen Augen herausfordernd an. „Haben Sie den Mut, mit uns zu essen, oder wollen Sie lieber im Esszimmer allein sein? Sie brauchen um Ihren Anzug keine Angst zu haben. Rhett ist gleich fertig.“ Mitch setzte sich zu ihnen an den Küchentisch, hielt zu Rhett jedoch einen Sicherheitsabstand. „Sind Sie ein bisschen ein … Morgenmuffel?“, erkundigte Carly sich freundlich.
„Nein. Ich rede morgens nur nicht gern. Ich bin damit beschäftigt, meinen Tag zu planen. Sie sind offenbar kein Morgenmuffel?“
„Absolut nicht. Bei gutem Wetter gehen wir beide“, sie zeigte auf Rhett, „noch vor dem Frühstück joggen.“
Carly leerte die Schüssel mit ihrem Müsli. Mitch verfolgte, wie sie den Löffel zwischen ihre schön geschwungenen Lippen schob. Dann beugte sie sich über den Tisch und machte Rhett das Gesicht sauber, das noch zur Hälfte mit seinem Brei bedeckt war. Mitch erspähte ein Stück weißer Spitze im Ausschnitt ihres Tops. Wieder ärgerte es ihn, dass er sich dabei ertappte. Was war nur los? Er konnte doch nicht im Ernst vorhaben, denselben Fehler zu begehen wie sein Vater, als der sich von einem der Corbin-Zwillinge umgarnen ließ.
„Vielleicht begleite ich Sie mal auf Ihrer morgendlichen Runde.“
„Wenn Sie bei unserem Tempo mithalten können, gerne. Rhett hätte bestimmt Spaß daran. Er hat Gesellschaft gern.“
Es machte ihr anscheinend Spaß, Mitch herauszufordern. „Ich kann mithalten. Verlassen Sie sich darauf.“
„Warum haben Sie sich heute Morgen so fein gemacht? Wollen Sie auch in die Kirche?“
„Nein, ins Büro.“
„Heute, am Sonntag?“ Carly schnitt eine Grimasse. „Ein Workaholic. Und ein Freund von ungesundem Essen. Ganz der Vater.“
„Wie wollen Sie das beurteilen?“
„Marlene hat es mir verraten.“
„Aber von den Hunderttausend für die Abtreibung hat sie nichts verraten?“
Carly warf ihm einen zornigen Blick zu. „Wenn Sie Streit wollen, können Sie ihn haben. Aber nicht vor Rhett. Das lasse ich nicht zu. Außerdem glaube ich immer noch kein Wort von der Geschichte mit dem Geld für die Abtreibung.“
„Ich habe mich persönlich darum gekümmert. Und ich habe einen von Marlene quittierten Scheck.“
„Dann will ich ihn sehen.“
Mitch erinnerte sich an die Begegnung mit Carlys Schwester. In der Tat glichen die beiden sich äußerlich wie ein Ei dem anderen. Aber es gab auch Unterschiede. Marlene trug Designerkleider. Ihre Frisur und ihr Make-up waren makellos. Eine attraktive, aber sehr harte Frau – das war Mitchs Eindruck von Anfang an. Trotz ihres blendenden Aussehens empfand er überhaupt nichts für sie, weder Sympathie noch erotisches Interesse. Mit allen Mitteln hatte Mitch versucht, sie zu einem Bruch mit seinem Vater zu bewegen, zuerst mit seinem Charme, später mit Drohungen. Keine der beiden Methoden hatte Erfolg. Marlene kalkulierte eiskalt, und für sie kam nur die Nummer eins des Kincaid-Clans infrage. Als Mitch seinen Vater endlich dazu gebracht hatte, die Beziehung zu ihr abzubrechen, wurde Marlene prompt schwanger.
All das war bei Carly schwer vorstellbar. Ob sie nur die bessere Schauspielerin war, sollte sich bald herausstellen. Mitch würde Carly im Auge behalten. Wie ein Adler über seiner Beute wollte er über ihr kreisen, um zuzustoßen, sobald sie sich eine Blöße gab. Und dann
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