Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
sitzen.«
Er lachte kurz. »Ich soll dich den ganzen Weg nach Kent fahren?«
»So weit ist das nun auch wieder nicht. Bitte!«
Er stöhnte, als hätte ich seinen ganzen Tag ruiniert, doch dann bog er an der nächsten Kreuzung ab und fuhr in Richtung Autobahn. Allein, dass er eingewilligt hatte, mich nach Hause zu fahren, gab mir trotz aller Animositäten ein wenig Hoffnung. Ich lehnte meinen Kopf an die Kopfstütze, schloss die Augen und versuchte nachzudenken. Mein Geist war vom Alkohol benebelt. Alles was mir einfiel und was ich hätte sagen können, hörte sich lächerlich, verzweifelt oder selbstsüchtig an. Wie sollte ich mit jemandem umgehen, der so dickköpfig war? Was konnte ich sagen, damit er seine Meinung änderte?
Ich musste mein Bedürfnis unterdrücken, meine Hand auszustrecken und auf sein Knie zu legen. Ich hätte ihn so gerne berührt, nur um zu sehen, ob Körperkontakt funktionierte, wenn Worte schon nicht halfen. Doch er hätte meine Hand weggeschoben und sie wieder zurück auf meine Armlehne gelegt.
Ich öffnete die Augen und sah ihn an.
Wir fuhren jetzt auf einer zweispurigen Straße und rasten am Black Prince vorbei. Noch vierzig Minuten und ich wäre wieder zu Hause. Dann wäre die Chance vorbei, und ich würde nie mehr eine bekommen.
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, murmelte ich.
Ich dachte, er hörte mich nicht, denn er reagierte nicht darauf, sondern starrte nur auf den Verkehr vor sich. Er hätte ebenso gut alleine im Auto sitzen können.
»Ich dachte, du seist tot. Ich dachte, Fitz hätte dich umgebracht.«
Er atmete scharf durch die Nase ein, als wäre das alles eine Qual. Als wüsste er selbst nicht mehr, warum er bloß darauf eingegangen war, mich nach Hause zu bringen.
»Nun, das hat er aber nicht. Ich lebe immer noch.«
»Vermisst du den Club?« Lauter blöde Fragen, aber mir fiel nichts Besseres ein.
»Nein.«
»Was machst du gerade?«
»Wie bitte?«
»Ich meine, arbeitest du?«
»Nein.«
Erneutes Schweigen. Ich schloss die Augen und wünschte mir, ihm diese Fragen nicht gestellt zu haben. Hätte ich mich doch nur von ihm zum Bahnhof bringen lassen, dann wäre diese Tortur jetzt schon vorbei!
Ich hatte gedöst, denn das leise Klicken des Blinkers weckte mich. Ich setzte mich auf und sah aus dem Fenster.
»Oh, nicht hier!«
»Was?«
»Mein Boot steht jetzt woanders.«
Er lenkte den BMW an der Ausfahrt nach Rochester und Strood vorbei und fuhr zurück auf die Autobahn. Hinter uns hupte ein Auto. Dylan sah im Rückspiegel nach dem Fahrer.
»Schön«, sagte er. »Und wo zum Teufel liegt dein Boot?«
»Allington. In der Nähe von Maidstone. Das ist die nächste Ausfahrt. Tut mir leid, das hätte ich dir früher sagen sollen.«
Wir fuhren über die Medway Bridge. Unter uns lag der Hafen, in dem ich sechs Monate lang gewohnt und in dem ich ein paar gute Freunde gefunden hatte, bevor alles kaputtgegangen war. Ich konnte ihn von oben nicht sehen. Nur die gerade Fahrbahn und links in der Ferne Rochester Castle, von dessen Zinnen eine Fahne wehte.
»Wann hast du das Boot weggefahren?«
»Vor ein paar Wochen. Es war nicht leicht, das kann ich dir sagen. Ich musste durch eine Schleuse und Cameron bezahlen, damit er mir geholfen hat.«
Er sagte nichts. Bei der nächsten Ausfahrt fuhr er ab und einen langen, steilen Hang mit Blick über das Medway-Tal hinunter Richtung Maidstone. »Es war schwer«, sagte ich, obwohl er nicht gefragt hatte. »Du weißt schon, mit den Leuten im Hafen. Sie sind alle sehr nett, wünschen sich aber ein ziemlich beschauliches Leben. Zumindest haben sie sich das erhofft, bis ich aufgetaucht bin. Und Malcolm und Josie … Wir haben es versucht. Wir haben über alles geredet. Aber Josie hat mir die Schuld an dem gegeben, was passiert ist. Und ich mir auch.«
»Es war nicht deine Schuld«, sagte er schließlich. »Er hat Fitz hergelockt.«
»Nein«, sagte ich. »Das war ich schon selbst. Malcolm hat die Sache nur ein wenig beschleunigt.«
Er schwieg erneut, konzentrierte sich auf das kurze Stück auf der M20, das uns zurück nach Maidstone brachte. Ich ertrug das Schweigen nicht. Die kostbaren Minuten flossen wie Sand durch meine Finger.
»Es ist trotzdem ein schönes Plätzchen«, sagte ich. »Kein richtiger Hafen, nur ein paar Ankerplätze. Es gibt auch einen netten Pub mit einem Restaurant und sogar Duschen, die eigentlich für Kajakfahrer sind. Ich habe sie trotzdem bis letzte Woche benutzt, dann war mein Bad fertig. Außerdem
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