Wenn es Nacht wird: Psychothriller (German Edition)
anrufen? Mit wem konnte ich reden? Ich wählte wieder Dylans Nummer. Dieselbe Nachricht.
Immer wieder musste ich widerwillig an dasselbe denken. Er war vermutlich im Club.
Ich überlegte nicht einmal, was ich ihm sagen wollte, sondern legte sein Handy weg und nahm meines. Ich rief im Büro des Barclay an und wartete eine Ewigkeit, bis jemand dranging.
»Hallo?«
Ich hörte das leise Stampfen der Musik im Hintergrund. Die Stimme klang nach Helena, aber sicher war ich mir nicht.
»Könnte ich bitte mit Dylan sprechen?«
»Er ist nicht da.«
»Weißt du, wo er ist?«
»Wer ist dran?«
»Genevieve.«
»Wer?«
»Genevieve. Viva. Ich habe mal bei euch gearbeitet.«
»Warte.«
Die Musik hörte auf und wurde durch ein Piepen ersetzt. Ich wartete. Das ist doch lächerlich! , dachte ich. Was sollte ich ihm sagen, falls er überhaupt da war? Was sollte ich über Caddy sagen? Trauerte er um sie, oder hatte er sich über ihren Tod noch nicht einmal Gedanken gemacht?
»Genevieve.« Fitz’ Stimme überraschte mich.
Ich schluckte. Ich hätte auflegen sollen, nachdem die Frau gesagt hatte, dass Dylan nicht da sei. Ich hatte ihr bloß nicht geglaubt.
»Hi«, sagte ich so unbeschwert wie möglich. »Wie geht es dir?«
»Was für eine nette Überraschung. Was kann ich für dich tun?«
»Ich wollte nur fragen, wie es euch geht. Und sagen, dass es mir wegen Caddy leidtut.«
Es folgte eine peinliche Pause, die ewig zu dauern schien. Ich hörte ihn atmen und diesmal auch die leisen Schläge der Musik.
»Du willst doch nicht wirklich wissen, wie es uns allen geht, nicht wahr? Du hast nach Dylan gefragt. Er ist nicht da. Soll ich ihm was ausrichten?«
»Nein, nein«, sagte ich hastig. »Ist er morgen da? Ich kann es ja noch mal versuchen. So dringend ist es nicht.«
»Ja, alles klar. Soll ich ihm sagen, dass du angerufen hast?«
»Egal«, sagte ich und hoffte, dass es nicht so angsterfüllt klang, wie ich mich fühlte. »Wenn du willst.«
»Und was machst du so?«, fragte er dann.
»Ach – nicht viel. Ich bin weggezogen«, sagte ich.
»Wie hast du das mit Caddy erfahren?«, fragte er beiläufig.
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Meine Hände zitterten, ich spürte, wie mir der Schock über den toten, blutüberströmten Kater und über den Irrsinn, dass ich im Barclay angerufen hatte und ausgerechnet an Fitz geraten war, wieder die Tränen in die Augen trieb. Und darüber, dass es Dylan offensichtlich gut ging und er immer noch munter im Club arbeitete und meine Anrufe unbeantwortet ließ.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, außerdem dauerte das Schweigen bereits zu lange, um es zu überbrücken. Ich legte einfach auf. Unterbrach die Verbindung. Na toll , dachte ich. Wie dumm von mir .
Es gab nur noch einen Menschen, an den ich mich wenden konnte. Ich nahm das Blatt Papier vom Tisch, auf dem Carlings Nummer stand, machte in der Kombüse und im Wohnraum alle Lichter aus, ging in mein Schlafzimmer, kroch auf mein Bett und drückte mich in der hintersten Ecke gegen den Bootsrumpf. Über mir war die Dachluke: Von draußen konnte mich hier im Schatten niemand sehen – dafür konnte ich unter dem dunklen Himmel jeden draußen wahrnehmen.
Ich zwängte mich in die Ecke und wählte die Nummer.
Es klingelte ewig, sodass ich schon dachte, er würde gar nicht mehr drangehen, doch dann hörte ich ein »Hallo?«.
Ich brauchte ewig, bis ich meine Stimme wiederfand, sodass er ein zweites Mal »Hallo?« sagte.
»Spreche ich mit Jim Carling?«
»Ja – wer ist dran?«
»Hier spricht Genevieve.«
Es folgte eine Pause. Ich fragte mich, ob er überlegte, wer ich war.
»Hi, wie geht es Ihnen?«
»Ich bin alleine hier und habe draußen Geräusche gehört. Ich habe an Deck einen Schlag gehört. Dann bin ich rausgegangen – und …«
»Ist schon in Ordnung«, sagte er sanft. »Lassen Sie sich Zeit.«
»Irgendjemand hat Oswald umgebracht. Ich habe ihn draußen gefunden. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Oswald?«
»Der Kater. Malcolms und Josies Kater. Er liegt draußen; ich habe solche Angst. Bitte helfen Sie mir.«
Eine Pause entstand. Mir wurde klar, dass ich wegen so etwas die Polizeizentrale hätte anrufen müssen.
»Tut mir leid, ich habe Sie nicht mal gefragt, ob Sie im Dienst sind. Sie haben gesagt, ich könnte Sie jederzeit anrufen.«
»Ehrlich gesagt habe ich damit gemeint, dass Sie mich anrufen können, falls Ihnen noch irgendwas einfallen sollte, aber nicht wegen einer toten
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