wenn es Zeit ist
ärztlichen Schwangerschaftsbefund unter die Nase zu halten. Ich sollte es ja nicht wagen, zurückzukommen.
Meine Mutter hatte mir heimlich noch etwas Geld zugesteckt, nachdem ihr Widerspruch meinen Vater nicht umstimmen konnte. Sie wünschte mir alles Gute, aber vor den Augen meines Vaters wagte sie nicht, mich zum Abschied wenigstens in den Arm zu nehmen. »Schreib mir, wenn du etwas brauchst«, flüsterte sie mir zu.
Du glaubst nicht, wie stark mein Herz klopfte, als ich mit wackeligen Beinen unten an der abgeschlossenen Tür des Hauses deiner Großmutter klingelte. Eine dunkel gekleidete Frau kam die Treppen herunter, betrachtete mich durch die kleinen Glasscheiben der Haustür und öffnete nur die kleine Klappe darin.
»Was möchten Sie?«, fragte sie höflich und ihre wachen Augen verrieten leichtes Misstrauen.
»Ich möchte zu Georg Graf«, antwortete ich und machte einen Knicks, wie ich ihn auch machen musste, wenn ich in unserem Hotel die Gäste begrüßte.
»Das ist mein Sohn«, stellte die Frau durch die Klappe hindurch fest und öffnete die Tür. »Sind Sie mit ihm verabredet?«
»Nein«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Ich komme von Helgoland. Er erwartet mich nicht.«
»Ich bin nicht sicher, ob er sich freut. Kommen Sie doch erst mal mit hoch.« Die Frau schloss die Tür hinter mir und ließ mich die Treppen vorangehen. Oben geleitete sie mich in ihr Wohnzimmer, bot mir einen Platz und Kaffee an und klopfte an die Zimmertür ihres Sohnes.
Auf einmal stand er vor mir. Ich saß auf einem Sessel im Zimmer deiner Oma, hielt mit der einen Hand verkrampft den Koffer neben mir fest, in der anderen zerknitterte ich den Briefumschlag mit dem Attest. Dein Vater sah müde aus, die Augen waren verklebt, die Haare ungekämmt und das Oberhemd hatte er nur halb in die Hose gesteckt. Deine Oma war in die Küche gegangen und kochte Kaffee, obwohl ich abgelehnt hatte.
»Hallo«, sagte dein Vater matt.
Ich reichte ihm wortlos den Briefumschlag.
» Und es ist sicher von mir?«, fragte dein Vater, als er den Befund gelesen hatte.
Ich nickte stumm.
»Du willst es mir anhängen.« Er gab mir energisch den Schein zurück, seine Augen blitzten, seine Stimme wurde lebhafter und schneidender. »Wie viele Touristen hast du auf diese Weise beglückt? Wie oft bist du nachts in ihre Zimmer gegangen und hast dich mit ihnen vergnügt? Jeden Abend? Ist das ein besonderer Service in eurem Hotel? Erpressung inklusive? Nicht mit mir. Verschwinde!«
Noch immer war ich zu keinem Wort fähig, hörte mir seine Vorwürfe und Unterstellungen an und wünschte, ich wäre nicht zu ihm gefahre n. Ich regte mich nicht, blieb wie ein Betonklotz in dem Sessel sitzen. Ich war nicht mal fähig, zu weinen. Es war die einzige Adresse, die ich in Hamburg hatte. Ich hatte mir keine Gedanken gemacht, was passieren sollte, wenn ich dort klingelte. Auch hatte ich mir nicht überlegt, wo ich bleiben könnte, wo schlafen, wo essen. Es war die einzige Anlaufstelle. Hatte mein Vater sich wirklich eingebildet, der Mann würde mich mit offenen Armen und voller Freunde über den Nachwuchs empfangen? Oder wollte er mir diese Demütigung antun?
Deine Oma kam mit Geschirr zurück, stellte es auf dem Tisch ab und nahm mir den Befund aus der Hand.
»Glaub es nicht«, stammelte dein Vater, »sie ist ein Flittchen. Bestimmt versucht sie es bei jedem so, um die Hotelkasse aufzubessern.«
Deine Oma beachtete ihn nicht. Sie studierte den Zettel, gab ihn mir zurück und fragte: »Ist das wahr?«
Noch bevor ich nicken konnte, fuhr dein Vater dazwischen. »Sie vergnügt sich mit den Gästen, jeden Abend ein neuer. Was habe ich damit zu tun?«
»Hast du mit ihr geschlafen?«, wollte seine Mutter von ihm wissen.
»Wer hat das nicht?«
»Hast du verhütet?« Sie bohrte weiter, ruhig und streng. Dein Vater blickte zu Boden, vermied es, ihr in die Augen zu schauen, murmelte nur leise: »Nein.«
»Dann wirst du sie heiraten.« Dein Vater wurde so stumm, wie ich die ganze Zeit auf dem Sessel gesessen hatte. Er schluckte den Widerspruch hinunter, wollte sich umdrehen und wortlos das Zimmer verlassen, aber seine Mutter forderte ihn ungerührt auf, sich zu uns zu setzen und uns Gesellschaft zu leisten, während sie die Kaffeetassen verteilte.«
»Dann bin ich also schuld?«, fragte ich. »Nur meinetwegen hat er dich all die Jahre so behandelt?«
Während meine Mutter erzählt hatte, war so etwas wie Frieden in mich zurückgekehrt. Die Wut über Michis Neugier und die
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