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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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mich.«
    »Du weißt doch das wäre gelogen.«
    Ich gehe zu ihr und nehme sie zum Abschied in den Arm. Sie dreht sich weg, knufft mir ihre Faust leicht in die Rippen und sagt: »Der Ärger über die Zeitungen war mein Tag. Im Hotel habe ich doch nur dumm im Weg gestanden. Mir wurde das Haus gezeigt, ich bin mit einem Zimmermädchen mitgegangen und konnte nichts tun, außer zuzuschauen.« Sie sagt das lachend und mit dem Türgriff in der Hand.
    »So ist das immer an ersten Tagen.« Auch meine Mutter lacht. Michi schaut mich an.
    »Du hast ja lieber abgewaschen, als mit mir zu reden.« Sie ist wieder fröhlich, weiß sie doch ganz genau, mein Hang zur Einsamkeit hat nichts mit ihr zu tun. »Wir sehen uns morgen.«
     

Von der Angst vor Schritten (1973)
     
    Wir hatten jetzt Möbel. Als Michi und ihr Vater gegangen waren, weinte meine Mama ein paar Tränen darüber. Ich kaute auf meinen Lippen und versuchte, meine Tränen nicht an die Oberfläche zu lassen. Was war ich für ein Mensch? Herr Kloth brachte uns Möbel, trug sie mit hoch, gab meiner Mutter Arbeit und zum Dank dafür hätte ich beinahe seine Tochter geschlagen. Ich war viel zu alt dafür, aber Mama zog mich auf ihren Schoß, strich mir über den Kopf und fragte: »Hättest du das vor einer Woche zu hoffen gewagt?«
    Am ersten Nachmittag hatte ich noch nach Papa gefragt. Und nun versuchte ich, abends die Stille zu genießen. Immer, wenn ich die Schritte unserer Nachbarn im Treppenhaus hörte, wenn ihre Wohnungstüren klappten, zuckte ich zusammen, lauschte, spannte meine Muskeln an, lief in mein Zimmer und stopfte die Schulhefte in den Ranzen.
    Auf dem Schoß meiner Mutter sitzend, sah ich bei jedem Geräusch zur Tür. Ich antwortete nicht.
    »Er weiß nicht, wo wir sind. Er kann nicht kommen.«
    »Warum hast du ihn geheiratet?« Warum konnte ich keinen anderen Vater haben, einen, der mir nicht all diese gewalttätigen Gene überlassen hätte?
    »Du warst unterwegs.«
     

Von Empfängnis und Verstoß (1959)
     
    »Es war noch nicht wie heute«, erzählte Mama. »Wir waren jung und ahnungslos. Aufklärung gab es nur als Verbote. Wir mussten anständig bleiben, aber niemand hatte uns gesagt, wie.
    Ich lebte mit meinen Eltern seit 1952 auf Helgoland. Weißt du, wo das ist?«
    »Eine Insel in der Nordsee«, sagte ich. »Sie hat früher den Engländern gehört. Das hatten wir mal in Erdkunde.«
    »Ja«, antwortete meine Mama. »Meine Eltern waren auf der Insel zur Welt gekommen, durften aber nach dem Zweiten Weltkrieg erst in jenem Jahr wieder dorthin zurück.«
    Ich kannte sie dreizehn Jahre lang. Bisher war sie einfach meine Mama gewesen. Und das musste sie immer gewesen sein. Natürlich musste sie auch mal Kind gewesen sein, das eine Mama und einen Papa hatte. Aber sie hatte nie davon erzählt. Und nie hatte mich das gewundert.
    »Der Kreis schließt sich«, erzählte Mama. »Meine Eltern hatten auf Helgoland ein kleines Hotel. Ich fand die Insel entsetzlich. Tagsüber strömten die Passagiere der Schiffe über die Felsen, kauften ein, betranken sich, grölten und benahmen sich, als gehörte alles ihnen. Abends gab es nichts, wo wir hingehen konnten. Es gab nur eine Realschule auf der Insel, kein Gymnasium. Und es war mir selbstverständlich vorherbestimmt, die Pension meiner Eltern einmal zu übernehmen.
    Sobald ich alt genug war, wurde ich in d en Hotelbetrieb eingespannt, war Zimmermädchen, Empfangsdame, servierte Frühstück, Mittag- und Abendessen. Wenn ich nicht in der Schule war, hatte ich im Hotel zu tun. Wir waren mitten im Meer, aber ich hatte nur selten die Zeit, mit Klassenkameraden mal zur Düne zu fahren und an den Strand zu gehen. Ich hatte die Nase gestrichen voll von diesem Leben, bevor es überhaupt richtig begann.
    Und dann , Ende Februar 1959, Fidel Castro war gerade Ministerpräsident von Cuba geworden und ich siebzehn Jahre alt, kam dein Vater. Er war Gast in unserem Hotel, flirtete mit mir, war galant, wenn ich ihm servierte, scherzte, lachte und fragte mich, ob ich denn auch mal Freizeit hätte.
    Eines Abends bestellte er mich mit einer Flasche Sekt auf sein Zimmer, machte mir Komplimente und bat mich zu bleiben.
    »Nein« , beantwortete ich seine Frage. »Ich habe erst in einer Stunde Feierabend.«
    Dein Papa strahlte. »Dann sehen wir uns in einer Stunde«, sagte er. »Ich warte auf dich.«
    Wir hatten selten so junge Gäste, erst recht außerhalb der Saison. Schon deshalb war er etwas Besonderes für mich. Ich wollte etwas erleben.

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