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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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schaffen, jetzt an so unwichtige Dinge zu denken?
    »Wir wollten warten, bis wir mehr wissen« , sagte Michi. »Aber um neun wollten wir auf jeden Fall anrufen.«
    Ich kam wieder in der Gegenwart an, nahm das Telefon, stellte es vor meiner Freundin auf den Tisch und setzte mich zu ihr auf die Lehne.
    »Was ist mit Papa?« Anstatt meine Mama erwartungsvoll anzusehen, schaute ich auf meine Knie, spielte mit den Fingern an meiner Hose, strich über die Falten, die sich aus der Sitzhaltung ergaben.
    »Sie haben ihn verhaftet. Er hat eine Bank überfallen.« Mama zündete sich eine zweite Zigarette an und aus dem Augenwinkel bemerkte ich die Schachtel, die sie mir hinhielt. Ich griff, als hätte ich schon immer geraucht, nach einer Zigarette. Es war die erste, die ich je mit ihr rauchte. Es war meine erste Zigarette überhaupt. Genommen und angezündet in persönlicher Abwesenheit.
    »Was wollten sie von dir?« , fragte ich, während ich wie selbstverständlich nach dem Feuerzeug auf dem Tisch langte.
    Ruhig blies meine Mutter den Rauch aus. »Sie wollten wissen, ob ich davon Kenntnis hatte. Sie haben mich ausgefragt, sie haben getrickst, nur um zu sehen, ob ich lüge.« Mama wartete, sah Michi an und deutete mit ihrem Blick auf das Telefon: »Telefoniere bitte erst. Danach erzähle ich weiter.«
    Michi verzog den Mund etwas, aber sie wählte die Nummer, wartete, erzählte ihren Eltern, was passiert ist und fragte, ohne sich noch mal bei mir zu vergewissern, ob sie bei uns schlafen könnte. Der Blick, mit dem sie meine Mutter bedachte, ließ mich vermuten, Herr Kloth wollte wissen, was sie dazu dachte, aber Michi sagte nur: »Mein Vater möchte wissen, ob Sie in der Lage sind, morgen zu arbeiten.«
    »Gib ihn mir.« Meine Mama schaffte es, zu lächeln, auch, wenn die Lippen dabei leicht zitterten.
    Michi schob den Apparat über den Tisch und gab meiner Mutter den Hörer. »Ich habe noch keine Antwort«, flüsterte sie mir zu. Wir regten uns nicht mehr. Wahrscheinlich versuchte sie, wie ich, aus dem Antworten meiner Mutter zu hören, was ihr Vater sagte.
    »Hallo Kurt. – Ja, es war hart, aber ich werde morgen kommen. – Nein, es geht, mach dir keine Sorgen. – Er ist doch jetzt in Untersuchungshaft. Wir haben nichts zu befürchten. – Das ist sehr nett. – Meinst du das ernst? Wir sollen uns von Gisela verwöhnen lassen? – Du bist ein Schatz. – Bis gleich.«
    »Ich hätte noch wissen müssen, ob ich hier schlafen darf«, beschwerte sich Michi , weil Mama einfach aufgelegt hatte.
    Meine Mutter stand auf und brachte das Telefon zurück an den Platz. »N ein«, sagte sie. »Dein Vater holt uns ab. Er hat uns angeboten, diese Nacht im Hotel zu schlafen. Er meinte, wir sollten uns bei ihm einmal richtig gut erholen und von deiner Mutter verwöhnen lassen.«
    »Dann muss ich ja morgen in die Schule.«
    Wir packten unsere Sachen. Und wie zuvor das Scrabble, tat auch diese einfache Tätigkeit gut, lenkte ab, trieb die Gedanken aus dem Kopf. Ganz sicher ging das auch Mama so. Wir dachten nicht mehr an ihr Versprechen, mehr über die Vernehmung zu erzählen, sondern warteten, bis Herr Kloth kam.
     
    Ich kannte das Foyer des Hotels, den Speisesaal, der eigentlich viel zu winzig für die Bezeichnung Saal war, das Zimmer von Michi, das immer unaufgeräumt war, überquoll vor Kasperpuppen und Teddys, vor gesammelten grellbunten Plastikautos von Tomte Lærdal und Motorradzeitschriften. Aber bisher hatte ich noch nie in eines der Gästezimmer geschaut.
    Das, in dem ich schlafen sollte, war klein, die Wand mit beige gestrichener Raufasertapete beklebt. Es hing gerahmt der Druck eines Ölgemäldes mit Sonnenblumen an der Wand, es gab einen Schrank, einen Tisch mit einem Stuhl davor und ein Bett. Alle Möbel waren aus Nussholz. Das Zimmer meiner Mama sah ähnlich aus. Bestimmt wäre es viel sinnvoller gewesen, sich im Reich des Friedens zu erholen, hätte uns Michis Mutter nicht zu sich ins Zimmer gebeten. Es warteten Tee und Gebäck und für Mama ein Aschenbecher und eine Schachtel Zigaretten. Die Frage nach einem Cognac verneinte Mama, aber sie schluckte die Beruhigungstablette, die Michis Mutter ihr gab.
    »Ich wusste doch, er ist zu allem fähig. Und doch habe ich damit nie gerechnet.« Mama war kaum zu verstehen, so leise sprach sie.
    Ich saß neben ihr auf dem Sofa und hielt ihre Hand. Michi war von ihrer Mutter unter Murren ins Bett geschickt worden.
    Das Zimmer war mit weinrotem Stoff tapeziert. Dort, wo keine antiken

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