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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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Jan die Hand gebe. »Wir sehen uns morgen.«
    Draußen kommt die Wärme zu mir zurück. Luft zum Atmen, ein leiser tiefer Frieden.
     

Von Hartnäckigkeit (1976)
     
    Er wartet vor der Haustür. Muskulös und blass. Unruhig tritt er von einem Bein auf das andere. Immer wieder hält er in alle Richtungen Ausschau. Auf der Fuhlsbütteler Straße wäre er mir sicher nicht aufgefallen, aber es ist eine kleine Nebenstraße, in der wir wohnen. Hier sind keine Geschäfte. Die Straße ist nur von denen belebt, die hier leben. Er fällt mir auf. Als er mich entdeckt, kommt er auf mich zu. Dieses Mal hat er keinen Fotografen dabei.
    »Hallo Henrik.«
    Misstrauisch gehe ich langsamer.
    »Was wollen Sie schon wieder von mir?« Hatte ich ihm nicht schon gestern klar gemacht, kein Interesse an weiteren Berichten, Fotos und Spekulationen über mich zu haben?
    »Ich möchte mit dir reden, ganz in Ruhe. Kein Notizblock, kein Fotograf. Kein Bericht in irgendeiner Zeitung, den du nicht willst.«
    »Ich wüsste nicht, worüber wir reden sollten.« Die Hand, die er mir reicht, ergreife ich kurz, schaue ihn bei diesem Satz an und stelle erstaunt fest, wie hell sein Niesel ist. Blassbraun passt er sich fast der Haut an. Vielleicht habe ich die Farben deshalb bisher übersehen. Aber allgemein erscheint es mir in letzter Zeit, als trügen immer mehr Menschen diese Farben. Wann werde ich wohl bei Michi oder meiner Mama solche Farben entdecken?
    Ich antworte nicht. Mal wieder steigt Wut in mir auf. Ich spanne die Muskeln an, aber balle nicht die Faust.
    »Was wollen Sie von mir?«
    »Ich will dir helfen.«
    »Das sagten Sie gestern schon. Wenn Sie mich in Ruhe ließen, bräuchte ich gar keine Hilfe.«
    An einigen Stellen ist sein blassbrauner Nieselregen mit lichtgelben Punkten durchsetzt. Wenn ich doch bloß wüsste, welche Bedeutung diese verfluchten Farben haben. Warum ist der eine blau, wie Jörg oder Jan, warum der nächste goldbraun oder grün? Und warum scheine nur ich diese Farben sehen zu können?
    » Glaubst du das? Glaubst du, ich bin der einzige Journalist, der in deinem Leben spioniert? Glaubst du die Hoffnung all der unheilbar Kranken giert nicht nach solchen Geschichten, seien sie nun wahr oder nicht? Und glaubst du wirklich, es gäbe dann niemanden, der dich zum Betrüger machen will und ganz schnell auf deinen Vater stößt? Warum ist er im Gefängnis?«
    Was hat das mit mir zu tun, was mit meiner angeblichen Fähigkeit, was mit den Farben? Jetzt krümme ich langsam die Finger. »Lesen Sie Ihre Zeitung! Da stand es drin. Ist schon etwas her.«
     

Von Schüssen und Verdacht (1974)
     
    Erst, als sie meinen Vater verhaftet hatte, klingelte die Polizei tatsächlich bei uns. Wir wuschen gerade gemeinsam ab, Michi stand in der Küche, leistete uns Gesellschaft, hatte sogar ein Geschirrtuch in der Hand, benutzte es aber nicht. Es muss im November 1974 gewesen sein. Es war kalt und mein Geburtstag stand im nächsten Monat bevor. Seit diesem Jahr war man mit achtzehn volljährig und Frauen durften erst heiraten, wenn sie erwachsen waren. Hätte es das Gesetz 1959 schon gegeben, hätte niemand meine Mutter zur Ehe zwingen können. Der Abtreibungsparagraf wurde geändert. In den ersten drei Monaten nach der Empfängnis hätte meine Mutter mich noch rückgängig machen können. Auch dann hätte sie Papa nicht heiraten müssen.
    Willy Brandt stolperte über einen Spion namens Guillaume, Helmut Schmidt wurde Bundeskanzler und Walter Scheel Bundespräsident. Deutschland wurde Fußballweltmeister im eigenen Lande und die RAF-Häftlinge traten in einen Hungerstreik.
    Die Polizisten baten meine Mama, mitzukommen. Erschrocken fragte sie, worum es ginge und zog sich ihren Mantel an.
    »Es geht um Ihren Mann.«
    ›Jetzt hat er uns gefunden‹ , schoss es mir durch den Kopf und sofort war die Angst wieder da. ›Wir müssen zurück zu ihm oder er darf hier einziehen. – Es geht alles wieder von vorne los, die Schläge, die Armut. – Das Reich des Friedens wird zerstört.‹
    Mama hielt einen Moment inne, hatte einen Arm schon im Mantel, den anderen aber noch nicht. Kurz schaute sie zu Boden, dann sammelte sie sich , sah den Beamten an und fragte: »Ist ihm etwas passiert?«
    Machte sie sich etwa Sorgen um ihn?
    »Kommen Sie bitte mit uns. Das erzählen wir Ihnen auf dem Präsidium.«
    Ich stand in unserem Wohnflur und konnte keinen Ton sagen. Mama verabschiedete sich nicht. Sie ging dem Polizisten voraus und stolperte dabei über die

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