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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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rauche, bevor wir kochen.
    Kaum verbreitet sich der Dunst im Flur, höre ich die Haustür und anschließend die Schritte meiner Mutter im Treppenhaus.
    »Wo warst du heute Nachmittag?«, fragt sie, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hat. »Ich habe versucht, dich zu erreichen. Jetzt musste ich selbst einkaufen.«
    Ich erzähle ihr von Jan, von keimfreien Teakholzmöbeln, von sprachloser Kommunikation, von dressierten Kindern, die wirken wie Inventar. Ich erzähle ihr nicht von Dirk s Asthma, nicht von dem Reporter und schon gar nicht von der offenen Kiste. Mama hört mir zu.
    »Hast du endlich einmal beschlossen, etwas geselliger zu sein?«
    Schon oft hatten wir das Thema. Ich gehe ihr zu wenig weg, bin, wenn überhaupt, immer nur mit Michi verabredet. Ich habe ihr zu wenig Freunde.
    »Er hat mich schon so häufig gefragt. Mir ist keine Ausrede mehr eingefallen.«
    »Ist er nett?«
    Ich nicke. Sie hat keine Ahnung, wie nett ich ihn finde und sie soll es auch nicht wissen. Es reicht, wenn ihre Ehe enttäuschend für sie war. Ich muss sie nicht enttäuschen. Vielleicht ist Michi nur nicht die Richtige? Vielleicht finde ich ja irgendwann einfach eine Frau, die alles wieder ändert, weil sie ist wie Jan. Aber wer sollte richtiger sein als Michi? Eine Frau in blauem Nieselregen?
    Wir rauchen eine zweite Zigarette und kochen gemeinsam. Ich genieße es, einen ruhigen Abend zu haben, miteinander zu schweigen. Keine Aufregung über irgendwelche Reporter, keine Michi, die sich über Zeitungsartikel echauffiert. Wir essen still, waschen gemeinsam ab. Mama liest eine Zeitschrift, ich versuche, ein Buch zu lesen, was wesentlich besser geht, wenn wir gemeinsam im Flur sitzen.
     
    Es ist bestimmt halb elf, als ich genervt das Gesicht verziehe, weil das Telefon klingelt. Bestimmt ist es Michi, die sich beschweren will, weil sie heute nichts von mir gehört hat. Aber so wirklich würde das nicht zu ihr passen.
    »Erwartest du noch einen Anruf?«, fragt Mama auf dem Weg zum Telefon.
    Ich schüttle den Kopf. »Nein.«
    Trotzdem reicht sie mir, nachdem sie sich gemeldet hat, den Apparat und sagt: »Für dich.«
    »Hallo Henrik.« Manchmal gibt man Klassenarbeiten in der Gewissheit ab, nichts gewusst zu haben. Und wenn man sie dann wieder bekommt, ist man über jeden Punkt überrascht, den man trotzdem erlangt hat. Im Moment habe ich das Gefühl, auf einem leer abgegebenen Zettel eine Eins wieder zu bekommen. So wenig habe ich mit Jans Anruf gerechnet. Auch, wenn ich es mir nicht anmerken lassen will, bestimmt grinse ich breit und verlegen über das ganze Gesicht.
    »Hallo Jan.« Seit wann stottere ich?
    »Ich halte es nicht aus, bis morgen zu warten. Ich muss dir heute noch mitteilen, was der Arzt gesagt hat.« Jan klingt aufgeregt,obwohl ich ihn kaum verstehen kann, weil er so leise flüstert. »Stell dir vor, die Entzündung ist vollständig abgeklungen. Der Arzt war von den Socken und meinte immer wieder, das könnte gar nicht sein. Und Dirk erst. Von dem soll ich dich herzlich grüßen. Du darfst ihn bei Gelegenheit wieder küssen, wenn es so gut hilft. Leider bin ich nicht krank, sonst würde ich das ja glatt mal ausprobieren. Und leider habe ich auch gar nichts, womit ich dir danken kann.«
    Gegen einen Kuss hätte ich nichts einzuwenden.
    »Meine Mutter hat geweint, als der Arzt sagte, es wäre alles gut. Dabei haben wir ihr gar nichts erzählt. Sie hätte bestimmt etwas dagegen gehabt. Ich habe dir ja erzählt, sie hält es für Teufelszeug, Hexerei oder Gotteslästerung. Jedenfalls vielen Dank. Ich bin so glücklich. Wie kann ich das je gut machen?«
    » Dem Arzt habt ihr hoffentlich auch nichts davon erzählt.«
    »Wo denkst du hin. Der hätte uns doch für verrückt erklärt. Oh Henrik, ich weiß echt nicht, was ich ohne Dirk gemacht hätte. Er ist doch der Einzige, den ich habe. Bis auf … - Naja, ich muss auflegen, bevor meine Mutter noch reinkommt. Bis morgen.«
    Er hat glaube ich mehr gesagt, als in den ganzen Jahren, die wir gemeinsam in eine Klasse gehen. Und so plötzlich, wie er auflegt, habe nicht einmal die Chance, tschüss zu sagen. Ich bleibe mit offenem Mund sitzen und vergesse, den Hörer wieder auf die Gabel zu legen, bis meine Mama mich anspricht.
    »Irgendetwas Unangenehmes?«
    »Nein.«
    Der Inhalt von Jans Worten erreicht mich noch gar nicht. Sein Glück über den gesunden Bruder ist so mächtig, dass ich darüber in den Hintergrund getreten bin. Nur seine Freude hallt in mir nach, keine

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