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wenn es Zeit ist

wenn es Zeit ist

Titel: wenn es Zeit ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Tietgen
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Gedanken, was das für mich bedeutet.
    » Seinem Bruder geht es wieder gut. Er hatte einen Asthmaanfall.«
    »Und warum schaust du dann, als hätte er dir gesagt, er wäre gestorben?«
    Ich dachte, ich freue mich. Schon, weil Jans Freude so ansteckend war, weil er so überquoll vor Glück und vor Vertrauen in mich. Doch ich scheine es nicht zu tun. Ich dachte, ich grinse. Doch ich scheine nach Hiobsbotschaft auszusehen. Ich dachte, Michi, Jan, der Reporter bilden sich etwas ein, doch …
    Ohne ein weiteres Wort stehe ich auf und gehe in mein Zimmer. Erst in der Tür drehe ich mich um und wünsche meiner Mama wenigstens eine gute Nacht. Wieso lasse ich die fixe Idee von anderen so sehr mein Leben bestimmen? Mama kommt nicht hinterher. Sie erwidert nur meinen Gruß. Ich ziehe mich um, gehe noch einmal ins Bad, um mir die Zähne zu putzen. Mama räumt gerade den Aschenbecher weg und legt die Zeitschriften zusammen. In mein Buch, das ich aufgeklappt auf dem Tisch liegen lassen habe, steckt sie ein Lesezeichen.
    » Henrik, mir ist es egal, was du kannst oder nicht kannst. Ich liebe dich«, sagt sie, ohne dabei aufzublicken. »Mach dich nicht selbst verrückt!«
    Ich tue so, als hätte ich sie überhört, schließe die Tür zu meinem Zimmer und lege mich ins Bett. Kaum schließe ich die Augen, sehe ich die Kiste meiner Großmutter in bunten Farben brennen. Der geöffnete Deckel schnappt mit spitzen Zähnen wie ein Krokodil nach mir. Ich dämonisiere diese beschissene Kiste. Sie war ein Geschenk und ich mache sie zur Ausgeburt der Hölle, zu einem Fluch.
    Es klopft an der Tür, Mama fragt von draußen, ob sie reinkommen dürfe.
    »Ja.«
    Sie setzt sich auf das Bettende.
    »Ich mache mir Sorgen um dich, Henrik. Du nimmst das alles so schwer und ich kann dir nicht helfen.«
    Sie sitzt ganz ruhig, berührt mich nicht, schaut mich nur an …
    »Mama, ich gehöre mir nicht mehr. Reporter können über mich schreiben, was sie wollen, jeder hat ein Anrecht auf mich, weil er glaubt, ich könnte ihm helfen. «
    … hört mir zu …
    »Jan hat die Zeitung gelesen und mich gefragt, ob ich seinem Bruder helfen kann. Und es war ein schönes Gefühl, es zu tun. Aber ich komme mir vor wie ein Betrüger Dabei behaupte ich ja noch nicht mal, etwas zu können.«
    … antwortet: »Ist das wichtig, wenn doch allein die Hoffnung und der Glaube daran helfen?«
    »Was ist, wenn unsere Adresse bekannt wird, wenn sie hier vor der Tür stehen und ich ihnen nicht helfen kann?«
    … und schweigt …
    »Und was ist mit meinem eigenen Leben, mit der Schule, dem Abitur, dem Studium, dem Beruf? Ich weiß noch gar nicht was ich machen will, aber ich habe schon jetzt das Gefühl gar keine Wahl mehr zu haben.«
    … und j etzt berührt sie mich, wenn auch nicht direkt. Sie legt nur die Hand an der Stelle auf die Bettdecke, an der diese durch die Beine erhöht ist.
    »Was hat deine Oma dir gesagt, als sie dir die Kiste gegeben hat?«
    »Sie ein birgt Geheimnis, dessen Zauber die Kraft verliert, wenn ich es jemandem verrate.«
    »Dann hast du doch die Wahl. Wenn es so ist, könntest du das Kästchen einfach von Michi öffnen lassen. Sie ist neugierig genug und wollte schon immer hineinschauen. Wenn das Geheimnis so schrecklich für dich ist, kannst du es doch ganz leicht entkräften. Du brauchst nur gegen die Bitte der Großmutter verstoßen.«
    Freunde reden manchmal in der Dunkelheit der Nacht miteinander, bis es hell wird. Sie tauschen in diesem Schutz ihre Gefühle aus, vertrauen sich und erzählen sich Dinge, die sie sich bei Tag nie sagen könnten.
    »Wäre das nicht feige?«, frage ich. »Wenn ich diese Gabe habe, darf ich sie dann überhaupt ablehnen? Was hat sie mit der Kiste zu tun. Die habe ich ja noch nicht einmal geöffnet, aber die Kraft scheint trotzdem schon da zu sein. Wäre sie also wirklich fort, wenn ich Michi die Kiste öffnen ließe?«
    »Das musst du für dich herausfinden. Das ist es ja, was mich so schmerzt. Ich sehe, wie du dich quälst, und kann dir nicht helfen. Das ist ein Gefühl, das ich auch immer deinem Vater gegenüber hatte, wenn er uns geschlagen hat. Ist das nicht idiotisch? Er hat uns wehgetan und ich kam mir hilflos vor, weil er sich so quälte.«
    Schon der Reporter hatte am Nachmittag diese Verbindung gezogen. Wie kam er darauf? Wie Mama darauf kommt, kann ich nachvollziehen. Ich weiß ja von meiner Wut, wie sehr sie mich quält. Musste Papa auch immer flennen, nachdem er uns verprügelt hat? Oder nachdem er zwei

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