Wenn Frauen nicht mehr lieben
Kindes fragt. Heute zählt ohnehin nur noch die Aufsichts- und Verpflegungspflicht. Die alte Weisheit aber, daß junge Väter – auch wenn sie aus einem modernen männlichen Stolz heraus das Gegenteil behaupten sollten – mit dem feinen weiblichen Sensorium und dem intuitiven Verständnis für die nonverbale Kommunikation des Babys nicht so gesegnet sind wie 137
Mütter von Natur aus, ist derweil in Vergessenheit geraten.
Mütter – insofern es sich um »richtige« Mütter handelt –
denken ganz anders als Väter über Kinder nach. Der Psychoanalytiker Wilfred R. Bion, der sich intensiv mit der frühen Mutter-Kind-Beziehung beschäftigt hat, spricht von der »capacity of dreaming«, einer Fähigkeit, in Anwesenheit des kleinen Kindes, das der Sprache noch nicht mächtig ist, zu träumen, über dessen seelische Vorgänge, Qualen, Bedürfnisse. Das innere Chaos des Babys wird von der Mutter verdaut, in etwas Gutes transformiert und ihm als etwas Annehmbares zurück-gegeben. Der international bekannte Genfer Säuglings-forscher Daniel Stern betont nicht ohne Wehmut, daß Väter dem Kind nicht das geben können, was sie in den frühen Jahren ihres Lebens benötigen, ein durchaus emanzipierter Mann, der die Grenzen der Väterlichkeit und die besondere psychische Ausstattung von Müttern in bezug auf die Babybetreuung am besten beurteilen kann.
Auch ich bin dieser Überzeugung – und hoffe, damit die vielen tollen Väter nicht vor den Kopf zu stoßen. Männer sind dennoch von herausragender Bedeutung für das kleine Kind, etwa dort, wo es um die so wichtige psychische, partielle Ablösung von der Mutter geht.
Ein jeder von uns weiß, was ihm seine Eltern bedeutet haben. Wie stark ihr Einfluß, ihre Macht für unser früheres und heutiges Seelenleben ist. Wie sie uns bis in den Tod hinein verfolgen als Figuren, die uns geprägt haben und die wir innigst geliebt haben, obwohl sie uns unabsichtlich oder absichtlich Verletzungen zufügten. Wir kennen diese Abhängigkeit von den Erwachsenen sehr gut. Es braucht da nicht viel Erinnerungsarbeit. Wie oft haben wir uns damals gewünscht, daß man uns vermehrt zuhört, daß man mit uns spielt, unsere Kindersorgen mit uns teilt.
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Gottseidank gab es noch die Großmütter. Denen konnte man stundenlang Geschichten erzählen, oder man konnte von ihnen Märchen erzählt bekommen. Sie haben einem beigebracht, wie man mit einem unangenehmen Lehrer umgeht, wie man sich im Beichtstuhl zu verhalten hat, wie man sich unter Kindern erfolgreich zur Wehr setzt etc.
Solche Großmütter sind wie vom Erdboden verschwunden. Entweder verbringen sie mit ihrem neuesten Freund gerade ihre Ferien in der Karibik – was man ihnen nach einem harten Frauenleben nur allzu gerne gönnt –, oder sie arbeiten sehr engagiert und erfolgreich, was sie endlich zufrieden stellen dürfte. Falls sie pensioniert sind, sind sie unentwegt auf Achse. Mit den hohen Renten und dem Nochwohlstand unserer Konsumgesellschaft ist alles möglich geworden, was die heutigen Großmütter früher so hart entbehren mußten. Getreu dem Slogan. Hast du dir heute schon etwas gegönnt? Hast du dir schon etwas Gutes getan? Wenn nicht, dann tue es schnell, du hast es verdient. So als gäbe es nicht nur ein Recht, sondern gar eine Pflicht weiblicher Selbstverwöhnung. Enkel sind da nur im Weg. Man kann sie nicht mitnehmen in die Sauna, ins Solarium, zur Kosmetikerin, in die Karibik. Man will auch endlich seine Ruhe und kümmert sich nun intensiv um sich selbst. Und liegt damit ganz in der modernen Zeit, in der die »Selbstintensivierung« (Peter Sloterdijk) allem anderen vorauszugehen hat. Nicht aber das intensive Bemühen um den anderen. Großväter wären da auch betroffen. Oft sind sie aber – wegen ihrer weniger zähen männlichen Natur – leider schon gestorben.
Die Vollblutmutter. Nehmen wir ein Beispiel, und nennen wir sie Irma. Irma ist gelernte Kindergärtnerin.
Seit der Geburt ihrer Tochter Eva möchte sie nur noch für ihr über alles geliebte Kind da sein. Irma ist ein absoluter Kindernarr, was ihre Berufswahl schon bezeugt. Nun ist 139
sie den ganzen Tag bei den Kindern. Dafür führt auch sie allein das Regiment. Ihr Mann ist viel auf Reisen. An den wenigen Tagen, an denen er bei der Familie sein kann, ist er gerade noch toleriert. Er ist froh, wenn er sich auf sein Zimmer zurückziehen kann, in dem er gerade noch ein Gastrecht hat. Die Kinder tummeln sich massenweise im ganzen Haus. Auch die Kinder aus
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