Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Frauen zu sehr lieben

Wenn Frauen zu sehr lieben

Titel: Wenn Frauen zu sehr lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Norwood
Vom Netzwerk:
ermöglichen, unsere früheren schädlichen Beziehungsmuster wieder aufleben zu lassen, fühlen wir uns «wie daheim». Mit freundlicheren, liebevolleren oder auf andere Weise gesünderen Menschen fühlen wir uns dagegen unbeholfen und befangen. Vielleicht finden wir es aber auch langweilig, mit solchen «gesünderen» Menschen zusammen zu sein, weil wir die Herausforderung vermissen, die in dem Bemühen steckt, jemanden zu ändern, um ihn glücklicher zu machen oder um die uns vorenthaltene Zärtlichkeit und Anerkennung zu erringen. Langeweile verdeckt häufig das Gefühl von Unsicherheit. Frauen, die zu sehr lieben, empfinden diese Unsicherheit, wenn sie nicht tun können, was ihnen doch so vertraut ist: zu helfen, zu hoffen und sich mehr um das Wohlergehen eines anderen Menschen zu kümmern, als sich von den eigenen Bedürfnissen leiten zu lassen. Erwachsene Kinder von Alkoholikern, aber auch diejenigen, die aus anderweitig gestörten Familien stammen, entwickeln meist eine Faszination für sogenannte «Problemfälle» und eine Abhängigkeit von Aufregung, vor allem von schädlicher Aufregung. Wenn das Chaos eine ständige Begleiterscheinung unseres Lebens war und wir als Kinder zudem – was häufig der Fall ist – viele unserer eigenen Gefühle verleugnen mussten, dann gelingt es uns oft nur in dramatischen Situationen, überhaupt irgendwelche Gefühle zu spüren. Daher brauchen wir die Sensation von Unsicherheit, Schmerz, Enttäuschung und Kampf, um uns überhaupt lebendig zu fühlen.
    Lisa beendete ihre Geschichte. Der Frieden und die Ruhe, die in mein Leben einkehrten, nachdem Gary ausgezogen war, machten mich fast wahnsinnig. Ich musste alle Kräfte zusammennehmen, um ihn nicht anzurufen und die ganze Sache wieder von vorn anzufangen. Aber langsam gewöhnte ich mich an ein normaleres Leben.
    Zurzeit habe ich keinen Freund. Ich weiß, dass ich noch immer zu krank bin, um eine gute Beziehung zu einem Mann aufbauen zu können. Ich würde doch nur losgehen und mir einen neuen Gary suchen. Also konzentriere ich mich zum ersten Mal in meinem Leben auf mich, anstatt zu versuchen, jemand anderen zu ändern.»
     
    Lisas Verhältnis zu Gary hatte – wie das Verhältnis ihrer Mutter zum Alkohol – krankhafte Züge. Sie litt unter einem zerstörerischen Zwang, über den sie selbst keinerlei Kontrolle hatte. Genau wie ihre Mutter im Laufe der Zeit alkoholsüchtig und damit unfähig geworden war, ohne fremde Hilfe das Trinken aufzugeben, hatte Lisa eine ebenfalls süchtig machende Beziehung zu Gary entwickelt. Diesen Vergleich der Situationen beider Frauen ziehe ich nicht leichtfertig, genauso wenig, wie ich das Wort
Sucht
in diesem Zusammenhang leichtfertig verwende. Lisas Mutter war von der Droge Alkohol abhängig geworden, um all die Angst und Verzweiflung, die das Leben für sie bereithielt, nicht aushalten zu müssen. Je mehr sie trank, um zu verhindern, dass sie ihren Schmerz spürte, desto stärker wirkte die Droge auf ihr Nervensystem ein, wodurch genau die Gefühle erzeugt wurden, die sie zu unterdrücken versuchte. Letzten Endes verstärkte sich also der Schmerz. Also trank sie immer mehr – eine Spirale, die in die Abhängigkeit führt.
    Auch Lisa versuchte, Angst und Verzweiflung zu unterdrücken. Sie litt an schweren latenten Depressionen, deren Ursachen in ihrer leidvollen Kindheit lagen. Diese Art von Depressionen ist unter Kindern aus dysfunktionalen Familien weit verbreitet. Je nach Geschlecht, Veranlagung und Rollenzuweisung innerhalb der Familie entwickeln die Betroffenen verschiedene Methoden, mit diesen Depressionen umzugehen oder – sehr häufig – nicht umgehen zu müssen. So versuchen viele junge Frauen, sobald sie in die Pubertät kommen, ihre Depressionen in Schach zu halten, indem sie zu sehr lieben. Sie lassen sich auf chaotische, aber anregende und der Ablenkung dienende Kontakte mit ungeeigneten Männern ein, auf Beziehungen, die ihnen so viel Aufregung verschaffen, dass sie nicht in den depressiven Zustand fallen, der direkt unterhalb ihres Bewusstseins lauert.
    Auf diese Weise wird ein grausamer, gleichgültiger, unehrlicher oder in anderer Hinsicht schwieriger Partner für diese Frauen zum Äquivalent für eine Droge und damit zum Mittel, die eigenen Gefühle zu unterdrücken – genauso wie Alkohol und andere stimmungsverändernde Drogen einem davon abhängigen Menschen zumindest für kurze Zeit einen Fluchtweg bieten, auf den er nicht mehr zu verzichten wagt. Diese

Weitere Kostenlose Bücher