Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
November stattfanden.
Wieder in meiner Heimatstadt, fühlte ich mich unwohl, denn immer wieder merkte ich, dass die Leute mich schief ansahen und dann in kleinen Grüppchen über mich redeten. In meiner Gemeindekirche bekam ich eine Panikattacke und musste die Messe verlassen, weil ich glaubte, die Wände würden mich erdrücken.
Nach meinen Prüfungen arbeitete ich als Hilfsschwester in einem Pflegeheim in Bowral in der Nähe von Moss Vale und wartete, bis in den Zeitungen die Aufnahmen in die Universitäten veröffentlicht wurden.
Kurz vor Weihnachten 1985 erhielt ich ein Anmeldeformular von der Studentenvereinigung der University of Queensland, ehe ich offiziell die Bewilligung eines Studienplatzes
erhalten hatte. Da Medizin das einzige Studium war, für das ich mich im ganzen Land beworben hatte, konnte dies nur eins bedeuten - dass die Queensland University mir die Chance gab, Medizin zu studieren. Ich erhielt auch noch das Angebot für ein wissenschaftliches Krankenpflegestudium in New South Wales, aber mein Herz schlug für die Medizin. Nach Weihnachten traf das offizielle Angebot ein. Ich war sehr aufgeregt und fuhr zwei Wochen vor Semesterbeginn mit dem Zug nach Brisbane. Toby brachte mich vorübergehend in einem Apartment auf dem Gelände seines Mönchsklosters unter und half mir bei der Suche nach einer billigen Unterkunft - einem Zimmer in einer Pension.
Da ich bei Beginn meines Studiums dreizehn Jahre älter war als die meisten, wurde ich gefragt, ob ich in der Subquota sei, einem Einsteigerprogramm für reifere Studenten.
Unter den zweihundertzwanzig Studenten befanden sich etwa fünfzehn ältere, die aber alle schon einen Abschluss in Biochemie, Pharmazie, Mikrobiologie, Krankenpflege oder verwandten Bereichen hatten. Ich wusste nichts von der Subquota und hatte mich auch nicht als Studentin reiferen Alters, sondern als normale Studienanfängerin beworben. Der Computer hatte offenbar kein Programm, das mich ausgesondert hätte, und dieser Irrtum verschaffte mir den Einstieg in die Medizin auf der Grundlage meiner dreizehn Jahre alten Hochschulprüfungen, bei denen ich überdurchschnittlich gut abgeschnitten hatte. Erst in meinem zweiten Jahr fiel dem Dekan auf, dass er eine dreißigjährige Studienanfängerin im Kurs hatte.
In meiner Medizinausbildung musste ich wieder lernen zu denken, zu zweifeln und die Beweise zu analysieren, anstatt ungefragt hinzunehmen, was man mir sagte. Während meines ersten Jahrs war ich in der Gruppe der viel Jüngeren eine Außenseiterin. Doch langsam schloss ich Freundschaften mit einigen meiner Studienkollegen, und wir belegten gemeinsam Tutorien und Wahlpflichtfächer, machten zusammen Urlaub und halfen einander bei den Prüfungen. Zu meiner Gruppe gehörten die Kettenraucherin Kathy, ein kluger Kopf mit einem naturwissenschaftlichen Abschluss, Andrew longus, wie wir ihn nannten, ein großer Biochemiker, Andrew brevis, ebenfalls ein Naturwissenschaftler, Robyn, ein Mikrobiologe, Jean, Tuntuni und George, alles Studienanfänger. In den Ferien fuhren wir nach Stradbroke Island, Fraser Island und O’Reillys, ins Hinterland Gold Coast. Ich liebe den Busch und habe ihn während meiner Zeit bei der Gemeinschaft fürchterlich vermisst.
Im ersten Jahr kam ich in anorganischer Chemie ziemlich ins Schwimmen, weil ich lang vergessene Integralrechnungen benötigte, um Berechnungen anzustellen. Mit Müh und Not schaffte ich aber dennoch die Prüfung, weil ich die anderen Berechnungen ganz gut hinbekommen hatte. Während eines Spektometrie-Experiments vertraute ich einem achtzehnjährigen Mitstudenten an, dass ich während meiner Schulzeit Logarithmentafeln verwendet hatte und seine Hilfe benötigte, um die Funktionen auf dem wissenschaftlichen Taschenrechner nutzen zu können. Er war völlig perplex: »Wie kannst du so alt sein, dass du zur Schule gingst, als man noch keine Taschenrechner benutzt hat, und bist dennoch zum Medizinstudium zugelassen
worden?« Als wir dann zu den klinischen Bereichen wie Anatomie, Physiologie und Psychologie kamen, hatte ich keine Probleme mehr.
Mit menschlichen Knochen, die aus meinem Rucksack herausragten, radelte ich täglich auf dem Fahrradweg, der sich längs des Brisbane River schlängelte, zu den Anatomiekursen. Die Geschichte des an Tuberkulose erkrankten Rikschaführers von Kalkutta aus Lapierres Stadt der Freude, der sein Skelett an einen Sanitätshändler verkaufte, um die Mitgift seiner Tochter bezahlen und das Hochzeitsfest
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