Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
eigenen Kindern, die auch wieder unterentwickelt sind.
Die Missionarinnen der Nächstenliebe kümmerten sich um zwanzig bis dreißig ältere Aboriginefrauen in Katherine, von denen einige blind oder verkrüppelt waren. Wenn ich keinen Dienst hatte, half ich ihnen am Sonntagmorgen beim Duschen, Saubermachen und Servieren des Mittagessens. Ich kannte Schwester Leena, die in Manila Novizin gewesen war, aber die anderen Schwestern aus Papua-Neuguinea, Australien, Indien und von den Philippinen waren mir unbekannt. Einige der Bewohnerinnen waren großartige Persönlichkeiten. Eine von ihnen, Doris, war Viehhirtin gewesen und hatte auf dem Pferderücken das Vieh zusammengetrieben, während sie ein Baby in einer kawala oder Rindentrage vor sich balancierte. Am Sonntagnachmittag kamen eine Zeit lang viele der long grass für eine Suppe und ein Sandwich zu den Schwestern, ich half beim Verteilen und kümmerte mich um ihre Wunden. Da die Lage wegen ihrer Trinkerei und ihrer Streitereien auf dem Hof jedoch unkontrollierbar wurde, hörten die Schwestern damit auf.
Im April 1997 starb Schwester Agnes, die als Erste Mutter Teresas Orden beigetreten war, an Krebs. Ihr Tod stimmte mich sehr traurig, da Schwester Agnes eine sanfte, stille Person gewesen war, die ich bewunderte, nachdem ich sie erst bei einem Besuch des Noviziats in Australien und
später in Kalkutta kennengelernt hatte. Schwester Margaret, meine Vorgesetzte in Kerema, starb ebenfalls an Krebs. Auch bei einigen anderen Schwestern wurde Krebs festgestellt, und ich fragte mich, ob es womöglich eine Verbindung zwischen Krebs, Sanftheit und einem Leben als MN gab.
Auch Mutter Teresa starb, als ich in Katherine war - am 5. September 1997. Ich half den Schwestern, im Frauenheim einen Fernseher aufzustellen, damit sie ihr vom Militär eskortiertes Staatsbegräbnis und den Trauerzug durch die Straßen von Kalkutta verfolgen konnten. Mir kam es unpassend vor, dass eine bescheidene Frau, die den Friedensnobelpreis bekommen hatte, von Soldaten umrundet auf einer Lafette durch die Straßen getragen wurde. Aber ihr Leben war ein Paradox. Ich empfand ihr Hinscheiden als Verlust und wünschte, wir hätten einander besser verstehen können.
Während ich an der Central Coast lebte, hatte ich mich immer weiter von der katholischen Kirche entfernt, obwohl ich mit Mama gelegentlich noch zur Messe ging. In Katherine wurde ich wieder Teil der katholischen Kirche, schwankte aber weiterhin, weil die Gottesfrage für mich nicht geklärt war. Ich war mir unsicher, ob Gott existierte, fand aber, dass die Idee von Gott zumindest einen Funken Hoffnung barg. Ungeachtet der institutionellen Beschränkungen und des Verhaltens der Kirche zog mich der Geist der Gemeinde von Katherine wieder in ihren Schoß zurück.
1988 tobten dicht aufeinander zwei Zyklone um die Spitze von Nordaustralien, woraufhin der Katherine River anschwoll, am australischen Nationalfeiertag, dem 26. Januar 1998, einen Pegelstand von fünfzehn Metern erreichte und über die Ufer zu treten drohte. Der Pegelstand des Flusses schwankt während der Regenzeit immer stark, aber für gewöhnlich bewegt er sich bei sechs bis acht Metern. Um halb elf Uhr vormittags kam ich mit einigen der Aboriginefrauen aus dem Heim der MN zur Brücke zurück, weil sie das Hochwasser sehen wollten, und da hatte der Pegelstand bereits siebzehneinhalb Meter erreicht, ein gefährlich schnelles Anwachsen binnen weniger Stunden. Es war ein Feiertag, und da ich keinen Dienst hatte, hatte ich meinen Piepser nicht dabei. Um zu erfahren, was es Neues gab, rief ich Air Med an.
»Wo zum Teufel sind Sie?«, herrschte mein Chef mich an. »Wir suchen schon nach Ihnen.«
»Ich bin unten bei den ›Little Sisters‹« - wie die MNs genannt wurden.
»Gut, dann sagen Sie ihnen und ihren Leuten, dass sie sich zum Aufbruch fertig machen sollen. Holen Sie sich einen Wagen mit Allradantrieb vom Regierungshof und kommen Sie dann zur Unfallstation. Ich möchte, dass Sie mit den Patienten zur Tindal Air Force Base gehen. Wir evakuieren.«
Wir räumten das Krankenhaus mithilfe von Sanitätsfahrzeugen und Lastwagen des Luftwaffenstützpunkts. Der normalerweise friedliche Fluss stand kurz davor, über die Ufer zu treten, als wir durch die Stadt fuhren. East Katherine lag höher und wurde nicht überschwemmt, aber ansonsten
war das Wasser überall. Die von der Überschwemmung betroffenen Bewohner zogen in Schulen, in die Häuser von Freunden, in
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