Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
Oberin, dass wir am Flughafen von Manila bei den Lieferanten der Fluggesellschaften das übrig gebliebene Essen abholten, was uns erlaubte, die Ernährung der Patienten mit Käse, kaltem Fleisch und so weiter zu ergänzen.
Weil medizinische Behandlungen auf den Philippinen nicht kostenlos waren, mussten die Patienten im Allgemeinen ihre eigenen Nadeln, Infusionsapparate und Arzneien kaufen. Die Ärmeren wandten sich mit ihren teuren Rezepten an uns, und oftmals konnten wir ihnen auch helfen, wenigstens mit einem gleichwertigen Präparat aus unserem Spendenvorrat. Eines Tages, wir saßen gerade beim Nachmittagstee, klopfte es an der Tür. Die »Pförtnerin« berichtete: »Ein kleiner Junge hat Atemnot.« Ich wollte gerade aufstehen, weil ich Zugang zur Arznei im Tahanan hatte und dachte, dass ich helfen sollte.
»Setz dich, Tobit, das eilt nicht. Wir führen hier kein Notfallkrankenhaus«, erinnerte mich die Oberin. Ich dachte für mich: Ist ein Nachmittagstee wichtiger, als einem Jungen zu helfen und seine Eltern zu beruhigen? Doch ich wartete geduldig bis nach dem Tee und holte dann Salbutamol, um seine Qual zu lindern.
Wie auch schon damals im Noviziat in Melbourne wurden Kleinigkeiten oft zur großen Sache. Bei einer Gelegenheit schickte Mama mir einen Zeitungsausschnitt über Mutter, den ich an das Schwarze Brett der Gemeinschaft heftete. »Hast du denn im Noviziat gar nichts gelernt?«, fragte mich meine Oberin wütend, weil ich nicht vorher
um Erlaubnis gebeten hatte. Die Kontrolle war von orwellschen Ausmaßen.
Wir fanden eine Frau mit aktiver Lepra, die in einem Bushäuschen lebte, nachdem ihre Familie sie hinausgeworfen hatte. An ihren Beinen hatte sie mehrere blutende Wunden, ein Teil ihres Gesichts war weggefressen, und wo ihre Nase hätte sein sollen, klaffte eine offene Höhle. Ich kannte eine dorfähnliche Ansiedlung etwa sechzehn Kilometer nördlich von Manila, genannt Tala oder Stern, wo man sich um Leute mit Hansen-Krankheit respektive Lepra kümmerte. Ich schlug ihr vor, sie dorthin zu bringen und behandeln zu lassen, und so kam sie mit uns in das Tahanan. Ich wusch sie und gab ihr etwas zu essen, dann ging ich, um mit der Oberin zu sprechen.
»Schwester, wir haben eine Frau mit Lepra an der Bushaltestelle gefunden. Wir haben sie mit zu uns genommen. Können wir sie hoch nach Tala bringen?«
»Lepra ist hier in Manila nicht unsere Aufgabe, du hättest sie gar nicht herbringen dürfen. Es gibt andere Leute, die sich um sie kümmern können.«
»Ich weiß, dass wir hier keine Pflegeeinrichtungen für sie haben, aber ich dachte, wir könnten sie doch hoch nach Tala bringen. Sie ist in ganz schlimmer Verfassung, und ich hielt es für falsch, sie einfach dort zu lassen. Ich habe dafür gesorgt, dass sie nicht mit den anderen in Berührung kommt, und all ihre Kleidung und Handtücher weggebracht. Ich werde alles auskochen.«
»Ich verstehe dich nicht, Tobit«, erwiderte die Oberin aufgebracht. »Du machst ganz oft Dinge wie diese. Du versuchst, mich zu etwas zu zwingen, was du dir in den Kopf
gesetzt hast. Es war nicht deine Aufgabe, sie herzubringen. Wie viel Benzin wirst du brauchen, um sie hoch nach Tala zu fahren? Indem du dich dieses Problems angenommen hast, bringst du mich in eine Zwangslage, in der ich dir erlauben muss, sie nach Tala zu bringen.«
Die Schwester war wütend, was ich jedoch nicht verstehen konnte, weil für mich die Fürsorge für einen verlassenen Menschen auf der Straße überhaupt der Grund dafür war, weshalb ich eine MN geworden bin. Die Oberin war ein guter Mensch, was mir ihre Reaktion noch unverständlicher machte. Nun war ich aufgebracht und wütend. Widerwillig ließ mich die Schwester den Wagen benutzen und gab mir eine Begleiterin mit. Gemeinsam brachten wir die Frau nach Tala, was etwa eine Stunde dauerte. Obwohl mir das Betteln verhasst war, malte ich mir aus, unterwegs den Wagen abzustellen und Leute um eine Spende für Benzin zu bitten, und dann der Oberin das Geld hinzuknallen und zu sagen: »Hier ist das Geld, das dir so viel bedeutet hat.« Ein solcher Ausbruch war in Wirklichkeit natürlich undenkbar, und selbst diese nur in Gedanken ausgesponnene Tat wurde Gegenstand zukünftiger Selbstanklage bei der nächsten allgemeinen Beichte: »Ich bekenne mich schuldig, wütend gewesen zu sein und aufrührerische Gedanken gehabt zu haben.« Ich hoffte, dass die Schwester keine weiteren Informationen von mir verlangte.
Als wir nach Tala kamen, begrüßte man uns
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