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Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures

Titel: Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colette Livermore
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von der Straße zu geben. Sie hatte eine Art Beziehung zu einem Kind von jenseits des Tors aufgebaut. Vielleicht habe ich meine Mission, den Armen zu dienen, letztendlich doch zu einem Teil erfüllt, wenn auch auf weniger direkte Art, als ich mir das ausgemalt hatte.
    Schließlich wurde ich nach Kalighat geschickt, dem berühmten Sterbehaus, das Malcom Muggeridge in seinem Film porträtiert hatte. Mutter Teresa nannte es Nirmal Hriday, den Ort des reinen Herzens. Bevor sie das Gebäude
übernommen hatte, war es ein nicht mehr benutztes Pilgerheim innerhalb des Tempelbezirks der schwarzen Todesgöttin Kali gewesen. Nirmal Hriday ist ein großes Gebäude mit Bogenfenstern und einer mit Ornamenten verzierten Fassade. Es hat ein Flachdach, das zum Wäschetrocknen verwendet wird, mit widersinnigen zwiebelförmigen Kuppeln an jeder Ecke. Verkaufsstände mit ausladenden Markisen umgaben das Gebäude und versteckten seinen Eingang und die dekorative Architektur. Vom Wäschetrockenplatz aus hatte man einen hervorragenden Blick auf das wilde Durcheinander von Pilgern, Autos, Fahrrädern, Rikschas, Tieren und Straßenhändlern darunter.
    Drinnen lagen die Kranken auf niedrigen trageähnlichen Betten, die in Reihen standen. Viele hatten Gliedmaßen so dünn wie Stöcke und leidvolle, fehende Augen. Die Schwestern arbeiteten nur auf der Frauenstation, die Missionare der Nächstenliebe kümmerten sich um die Männer. Ähnlich den Menschen, die ich in Manila versorgt hatte, litten die Patienten an TB, Unterernährung, Krebs und Ruhr, aber ich fühlte mich hier nicht so zu Hause wie dort. Ich empfand mich als Fremde und Außenseiterin. Nirmal Hriday vermittelte nicht die freundliche und fröhliche Atmosphäre wie das Tahanan in Manila, sondern wirkte rauer und brutaler, besonders wenn ich es mit dem aufopfernden Dienen verglich, das ich mir aufgrund des Films Something Beautiful for God während meiner Schulzeit vorgestellt hatte. Die leitende Schwester war Schwester Luke, eine schroffe, dünne indische Krankenschwester aus Singapur. Sie tat ihr Bestes bei so vielen verzweifelten Menschen und gab nicht auf, wo eine schwächere Person vermutlich
nicht durchgehalten hätte. Es war bestimmt nicht leicht, mit so vielen ständig wechselnden Schwestern arbeiten zu müssen, und auch bei den Freiwilligen war die Fluktuation groß. Sie hatte nur eine ständige Professe an ihrer Seite, die die Patienten und die Abläufe kannte, und ein paar Einheimische, die dauerhaft hier als Nachtwachen arbeiteten und tagsüber mithalfen. Ich fand das einheimische Personal ziemlich grob und feindselig, was vielleicht am ständigen Wechsel der Schwestern lag, die anfangs nicht wussten, was sie tun sollten, und weil ständig neugierige, ausländische Freiwillige dazukamen und solche, die fotografieren wollten, was alles kaum erträglich war.
    Einige Patienten waren, bevor sie nach Nirmal Hriday kamen, auf der Straße von Ratten angeknabbert worden. Auch andere wurden in einem jämmerlichen Zustand mit verfilzten Haaren voller Läuse, Maden oder Ameisen in schmutzigen Kleidern und mit schwärenden Wunden und straffer, trockener Haut eingeliefert. Wir wuschen sie, entfernten die Maden mit Wasserstoffperoxidlösung und Pinzetten und gaben den Patienten etwas zu trinken und zu essen. Das niedrige Niveau der Fürsorge, das für Kalighat charakteristisch war, lässt sich leicht kritisieren, aber die Schwestern waren ständig damit beschäftigt, zu waschen und sauber zu machen, und für die Menschen war es sicherlich besser, auf diese Weise versorgt zu werden, als auf dem Gehweg zu sterben, wo die Menschen vorbeiliefen, ohne auch nur einen zweiten Blick darauf zu werfen.
    Nichtsdestoweniger erinnere ich mich ganz deutlich an meine negativen Gefühle diesem Ort gegenüber, obwohl ich sie bis heute nicht ganz nachvollziehen kann. In Nirmal
Hriday war ich traurig und verwirrt. Es war viel von Liebe und Mitgefühl die Rede, aber oftmals empfand ich es einfach nur als einen unwirtlichen Ort in einer unwirtlichen Stadt. Die ausgezehrten Kranken wurden mit abgespreizten Gliedmaßen unbeholfen von einer Schwester oder einer Mitarbeiterin geschleppt. Neuankömmlinge wurden zum Waschplatz gebracht, wo sie auf einer gefliesten Plattform oder dem Zementboden vor aller Augen ausgezogen, gewaschen und ihre Haare zur Läusekontrolle geschnitten wurden. Oftmals schrien sie, wenn kaltes Wasser über sie gegossen wurde. Es kam auch vor, dass jemand mit einer Kamera hereinkam, um sie

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