Wenn Gottes Kinder schweigen - Livermore, C: Wenn Gottes Kinder schweigen - Hope Endures
seine Freunde wieder, da sie nun nicht mehr über diesen von Ratten verseuchten Schaumgummihaufen klettern mussten.
Schwester Dolores bekam eines Tages noch spät einen Anruf aus Kalkutta mit der Information, dass sechs Novizinnen auf ihrem Weg von Kalkutta nach Manila in wenigen
Stunden einen Zwischenstopp in Hongkong einlegen würden. Wir eilten los, um ein paar Matratzen für sie zum Schlafen zu kaufen, ehe die Geschäfte zumachten, holten sie vom Flughafen ab und nahmen sie mit nach Hause, aber wir hatten kaum genug Platz, um sie unterzubringen. Ehe die Novizinnen wieder abfogen, schrieben wir am nächsten Tag Briefe an die Schwestern in Manila.
Schwester Dolores verteilte die Briefe, die wir bekommen hatten, darunter auch einen von Schwester Gabrielle, die mir mitteilte, sie sei überrascht, dass ich meinen Heimaturlaub noch nicht gemacht hätte, der eigentlich vor den letzten Gelübden hätte stattfinden sollen und mir gewährt worden war, ehe ich nach Hongkong kam. Ich hatte nichts davon erfahren, heim nach Australien reisen zu können. Sie teilte mir außerdem mit, dass man mich in Manila »fürchterlich« vermisse. »Die übliche Geschichte«, schrieb sie, »wir schätzen unsere Diamanten erst, wenn wir sie verlieren.« Ich freute mich darüber. Wie ein Diamant fühlte ich mich allerdings nicht.
Die Kirche von Hongkong bestand aus den Resten der katholischen Kirche des Festlands, aber nur wenige derer, die den Kommunismus überlebt hatten, zählten 1980 noch zu den Lebenden. Wir lernten Bischof Dominic Tang kennen, der erst kurz zuvor von der kommunistischen Regierung Chinas nach einer Haftzeit von zweiundzwanzig Jahren freigelassen worden war. Er war der Bischof von Kanton gewesen und deshalb als Kollaborateur mit den Imperialisten im Vatikan angesehen worden. »Ein ganzes Jahr lang sagte ich kein Wort«, berichtete er uns. »Und als ich wieder redete, klang meine Stimme fremd und unsicher. Ich war
allein mit meiner Einsamkeit. Meine Wärter bewachten mich ständig, und wenn ich den Anschein machte zu beten oder ich mich erhob, um aus meinem kleinen Fenster hinauszuschauen, schrien sie mich an.« Doch trotz alledem hatte er ein Leuchten in seinen Augen und schien nun einen tiefen inneren Frieden gefunden zu haben.
»Wie wurden Sie befreit?«, fragte ich ihn.
»Ich bin nun achtzig Jahre alt und habe Krebs, und so denke ich, dass sie mich wohl nicht mehr als Bedrohung empfunden haben. Ich habe den Bischof hier sehr überrascht. Alle dachten, ich sei tot.«
Das Leben im Kloster war sehr belastend. Manchmal behielt Schwester Dolores uns zu Hause, um Töpfe zu putzen, die ihr aber nie sauber genug waren. Wir mussten Gewürze zermahlen oder Gebäck für die komplizierten indischen Gerichte zubereiten, die sie uns für gewöhnlich zubereiten ließ, aber wenn ich Essen für die Diabetiker in Diamond Hill oder die Leute unter dem Highway kaufen wollte, bekam ich Schwierigkeiten. Manchmal konnten wir unser Wort gegenüber den Leuten, denen wir halfen, nicht halten, weil Schwester Dolores etwas anderes für uns zu tun hatte und uns unsere übliche Besuchszeit nicht gestattete. Wie in Melbourne mussten die Leute auf uns warten und annehmen, dass wir sie vergessen hatten.
Weil sie die Vorgesetzte für die ganze Region war, unternahm Schwester Dolores Besuchsreisen zu den Schwestern in Japan und Korea. Wenn sie unterwegs war, fiel die Verantwortung mir zu. Schwester Ling versuchte überaus geduldig, uns Kantonesisch beizubringen, und wir machten lustige Fehler beim Versuch, unseren Worten die richtige
Tonhöhe zu geben. Ein Priester, der bei uns die Messe zelebrierte, fragte, ob er uns helfen könne.
»Habt ihr denn genügend Bücher?«, erkundigte er sich.
»Wir haben ein gutes Buch - es zeigt die chinesischen Schriftzeichen und die anglisierte Aussprache und Bedeutung, aber das nimmt meist Schwester Dolores mit. Wenn Sie uns ein paar Kapitel kopieren könnten, wäre das eine große Hilfe«, erwiderte ich.
»Das mache ich gern«, sagte er.
»Das wäre wunderbar. Dann könnten wir die Texte während der Busfahrten mitnehmen und in jeder freien Minute lernen.«
Als Schwester Dolores jedoch zurückkam, war sie wütend, dass ich dies in ihrer Abwesenheit eingefädelt hatte. Wieder eine hochrangige Entscheidung meinerseits, die sie so verärgerte, dass sie mir befahl, einen Lumpensack zu machen, der hinten auf dem Waschplatz für alte Stofffetzen aufgehängt wurde, die man zum Geschirrspülen verwenden konnte.
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