Wenn Ich Bleibe
Atemtherapeuten untersucht. Es werden verschiedene Tests gemacht, um zu überprüfen, wie ihre Lunge arbeitet und ob sie von dem Beatmungsgerät genommen werden kann.«
»Das sind doch gute Neuigkeiten, nicht wahr?«, fragt Tante Diane. »Ich meine, wenn sie eigenständig atmet, dann wird sie doch bald aufwachen, oder?«
Die Sozialarbeiterin lächelt mitfühlend und nickt leicht. Die Geste wirkt einstudiert. »Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn sie atmet. Es zeigt, dass sich ihre Lungentätigkeit verbessert. Was wir immer noch nicht abschätzen können, sind die Folgen ihrer Schädelprellung.«
»Warum das?«, will meine Cousine Heather wissen.
»Wir wissen nicht, wann sie von selbst aufwachen wird und wie schwer die Schädigung ihres Gehirns ist. Diese ersten vierundzwanzig Stunden sind entscheidend, und Mia bekommt die bestmögliche Versorgung.«
»Dürfen wir sie sehen?«, fragt Gramps.
Die Sozialarbeiterin nickt. »Deshalb bin ich hier. Ich denke, es wäre gut für Mia, wenn sie Besuch bekäme. Nur ein oder zwei Leute.«
»Wir werden gehen«, sagt meine Großmutter und tritt zu Gramps.
»Das halte ich auch für das Beste«, nickt die Sozialarbeiterin.
»Es wird nicht lange dauern«, sagt sie zum Rest meiner Familie.
Die drei gehen schweigend den Flur entlang. Im Fahrstuhl versucht die Sozialarbeiterin, meine Großeltern auf meinen Anblick vorzubereiten, erklärt das Ausmaß meiner äußerlichen Verletzungen, die schlimm aussehen, aber behandelt werden können. Die inneren Verletzungen sind das eigentliche Problem, sagt sie.
Sie behandelt meine Großeltern, als wären sie Kinder. Aber sie sind stärker, als sie aussehen. Gramps war Sanitäter im Koreakrieg. Und meine Großmutter rettet immer ständig irgendwelches Getier: Vögel mit gebrochenen Flügeln, einen kranken Biber, ein Reh, das von einem Auto angefahren wurde. Die Sache mit dem Reh war irgendwie lustig, weil meine Großmutter Rehe eigentlich nicht mag. Sie ruinieren ihren Garten. »Hübsche Ratten«, sagt sie immer. »Leckere Ratten«, meint Gramps, wenn er seine Rehsteaks grillt. Aber dieses eine Reh konnte meine Großmutter einfach nicht leiden sehen, also hat sie es gerettet. Vielleicht dachte sie, es sei einer ihrer Engel. Das Reh kam schließlich in einen Wildpark.
Aber trotzdem bleiben beide wie angewurzelt stehen, als sich die automatischen Türen der Intensivstation hinter ihnen schließen, als ob sie gegen eine unsichtbare Barriere gestoßen wären. Meine Großmutter nimmt Gramps an der Hand, und ich versuche, mich zu erinnern, ob ich sie jemals händchenhaltend gesehen
habe. Ihr Blick fliegt über die Betten auf der Suche nach mir, aber in dem Moment, in dem die Sozialarbeiterin auf das richtige Bett deutet, hat Gramps mich gesehen und kommt mit langen Schritten auf mich zu.
»Hallo, Vögelchen«, sagt er. So hat er mich seit Ewigkeiten nicht mehr genannt, nicht mehr, seit ich noch kleiner war, als Teddy heute ist. Meine Großmutter kommt langsam näher und atmet dabei keuchend in kleinen Stößen ein und aus. Vielleicht haben sie all die verwundeten Tiere doch nicht so gut auf meinen Zustand vorbereitet, wie ich dachte.
Die Sozialarbeiterin holt zwei Stühle und stellt sie am Fußende meines Bettes auf. »Mia, deine Großeltern sind hier.« Sie bedeutet den beiden, sich zu setzen. »Ich lasse Sie jetzt allein.«
»Kann sie uns hören?«, fragt meine Großmutter. »Versteht sie uns, wenn wir mit ihr reden?«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht«, erwidert die Sozialarbeiterin. »Aber Ihre Anwesenheit kann beruhigend auf sie wirken, so lange Sie sich ruhig und besonnen verhalten.« Dann wirft sie ihnen einen strengen Blick zu, als ob sie sie ermahnen würde, nichts zu sagen oder zu tun, das mich aufregen könnte. Ich weiß, dass es ihre Aufgabe ist und dass sie tausend andere Dinge im Kopf hat und nicht immer feinfühlig sein kann, aber einen Augenblick lang hasse ich sie.
Nachdem sie gegangen ist, sitzen meine Großeltern eine Minute lang schweigend da. Dann fängt meine
Großmutter an, von den Orchideen zu erzählen, die sie in ihrem Gewächshaus züchtet. Ich sehe, dass sie ihre Gartenschürze gegen ein paar saubere Cordhosen und einen Pulli eingetauscht hat. Jemand ist vermutlich bei ihrem Haus vorbeigefahren und hat frische Kleidung geholt. Gramps ist sehr still und seine Hände zittern. Er ist kein großer Redner. Jetzt mit mir sprechen zu müssen, fällt ihm gewiss nicht leicht.
Eine andere Schwester kommt
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