Wenn Ich Bleibe
wie ein Baby greinen.
Als einziges Kind im Freundeskreis meiner Eltern war ich etwas völlig Neuartiges. Ich wurde von der Gemeinde der Musiker aufgezogen, mit Dutzenden von Tanten und Onkeln, die mich wie ihren eigenen Findling behandelten, selbst als diese merkwürdige Vorliebe für klassische Musik in mir zum Vorschein kam. Auch an richtigen Verwandten mangelte es mir nicht. Meine Großmutter und Gramps wohnten in der Nähe, und sie freuten sich, wenn ich ein Wochenende bei ihnen verbrachte, damit sich meine Eltern einmal richtig austoben und die ganze Nacht aufbleiben konnten und mein Vater mit seiner Band auftreten konnte.
Als ich ungefähr vier war, wurde meinen Eltern bewusst,
dass sie es tatsächlich taten – dass sie ein Kind aufzogen, obwohl sie weder einen Haufen Geld noch richtige Jobs hatten. Wir wohnten in einem hübschen Haus, für das wir nicht viel Miete zahlten. Ich hatte genug zum Anziehen (selbst wenn es abgelegte Kleider meiner Cousinen waren), und ich war glücklich und gesund. »Du warst wie ein Experiment«, sagte mein Vater später. »Und zwar ein überraschend erfolgreiches. Wir dachten, es müsste der pure Zufall sein. Und daher brauchten wir ein zweites Kind, um einen Vergleichstest zu starten.«
Vier Jahre lang versuchten sie es. Meine Mutter wurde zweimal schwanger und hatte zwei Fehlgeburten. Sie waren traurig darüber, aber sie hatten nicht genug Geld, um irgendwelche Tests oder weitere unterstützende Maßnahmen durchführen zu lassen. Als ich neun war, beschlossen sie, dass es vielleicht besser so sei. Ich wurde langsam unabhängig. Sie stellten die Versuche ein.
Als ob sie sich selbst davon überzeugen wollten, wie großartig es war, nicht durch ein Baby eingeschränkt zu sein, organisierten meine Eltern eine einwöchige Reise nach New York. Es sollte eine Pilgerfahrt in Sachen Musik werden. Wir wollten ins legendäre CBGBs, der Heimat des Underground Rock, und in die Carnegie Hall gehen. Aber zu ihrer großen Verblüffung entdeckte meine Mutter, dass sie schwanger war, und zu ihrer noch größeren Überraschung blieb sie es auch.
Als sie den dritten Monat hinter sich gebracht hatte, war klar, dass wir die Reise absagen mussten. Sie war müde und erbrach sich andauernd, und sie war so launisch, dass mein Vater meinte, sie würde den New Yorkern sowieso nur Angst machen mit ihren Ausbrüchen. Außerdem kosteten Babys viel Geld, und wir mussten sparen.
Mir war es recht. Ich freute mich auf das Baby. Und ich wusste, dass mir die Carnegie Hall nicht weglief. Ich würde eines Tages schon noch dorthin kommen.
17.40 Uhr
Ich bin ein bisschen durcheinander. Meine Großeltern sind vor einer Weile gegangen, aber ich blieb hier in der Intensivstation. Ich sitze auf einem der Stühle und denke an ihre Unterhaltung mit mir, die sehr freundlich, normal und unaufdringlich war. Bis sie aufbrachen. Als meine Großeltern die Intensivstation verließen, folgte ich ihnen. Gramps wandte sich an meine Großmutter und fragte sie: »Wie, glaubst du, wird sie sich entscheiden?«
»Entscheiden?«
Gramps schaute unbehaglich drein. Er scharrte mit den Füßen. »Du weißt schon – entscheiden«, flüsterte er.
»Wovon redest du?« Meine Großmutter wirkte verärgert und gleichzeitig sanft.
»Das musst du doch am besten wissen. Schließlich bist du diejenige, die an die ganzen Engel glaubt.«
»Was hat das denn mit Mia zu tun?«, fragte meine Großmutter.
»Sie sind nicht mehr am Leben, aber vielleicht sind sie immer noch hier, wenn es stimmt, was du glaubst.
Was ist, wenn sie sie mitnehmen wollen? Was, wenn sie mit ihnen mitgehen will?«
»So funktioniert das nicht«, fuhr ihn meine Großmutter an.
»Oh«, war alles, was Gramps dazu sagte. Das Gespräch war beendet.
Nachdem sie gegangen waren, nahm ich mir vor, meiner Großmutter vielleicht eines Tages zu sagen, wie sehr ich immer an ihrer Theorie, Vögel und andere Tiere könnten die Schutzengel der Menschen sein, gezweifelt hatte. Und jetzt bin ich mir sicher, dass es nicht so ist.
Meine Eltern sind nicht hier. Weder halten sie meine Hand, noch muntern sie mich auf. Ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass sie es tun würden, wenn sie könnten. Vielleicht nicht alle beide. Vielleicht würde meine Mutter bei Teddy bleiben, während mein Vater auf mich aufpasst. Aber keiner von beiden ist hier.
Und während ich darüber nachdenke, kommen mir die Worte der Krankenschwester in den Sinn: Sie hat die Kontrolle. Und plötzlich begreife ich,
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