Wenn Ich Bleibe
hinzu. Sie hat dunkle Haare und dunkle Augen, die sie mit schimmerndem Make-up zum Leuchten bringt. Ihre Nägel sind bunt lackiert und mit Herzapplikationen verziert. Die Pflege ihrer Nägel muss sie viel Zeit und Mühe kosten. Ich bewundere sie.
Sie ist nicht für mich zuständig, aber trotzdem geht sie zu meiner Großmutter und Gramps. »Sie dürfen keine Sekunde lang daran zweifeln, dass Mia Sie hört«, sagt sie zu ihnen. »Sie nimmt alles wahr, was um sie herum geschieht.« Sie steht da und hat die Hände in die Hüften gestützt. Jetzt fehlt nur noch, dass sie Kaugummi kaut. Meine Großeltern starren sie an und saugen alles in sich auf, was sie sagt. »Sie werden vielleicht glauben, dass die Ärzte oder die Schwestern oder dieser ganze Kram da« – und dabei deutet sie auf die vielen Geräte – »das Ruder in der Hand haben. Oh nein. Sie ist es. Sie hat die Kontrolle. Vielleicht wartet sie nur auf den richtigen Augenblick. Also reden Sie mit ihr. Sagen Sie ihr, sie soll sich alle Zeit der Welt lassen, aber
sie soll zurückkommen. Sagen Sie ihr, dass Sie auf sie warten.«
Meine Eltern hätten Teddy oder mich niemals einen Fehler genannt. Oder ein Missgeschick. Oder eine Überraschung. Oder irgendein anderes Wort für »ungewollt«. Aber keiner von uns beiden war geplant, und daraus haben meine Eltern nie einen Hehl gemacht.
Meine Mutter war noch jung, als sie mit mir schwanger wurde. Sie war kein Teenager mehr, aber keine ihrer Freundinnen war in ihrem Alter – dreiundzwanzig – schon Mutter geworden. Meine Eltern waren zu diesem Zeitpunkt ein Jahr verheiratet.
Trotz des Lebens, das mein Vater als Musiker führte, war er irgendwie schon immer ein Schlipsträger gewesen, immer ein bisschen traditioneller eingestellt, als man es von ihm erwartet hätte. Er hatte sich zwar die Haare blau gefärbt, trug Tattoos und Lederjacken und arbeitete in einem Plattenladen, aber trotzdem wollte er meine Mutter in einer Zeit heiraten, als ihre gemeinsamen Freunde sich noch jede Nacht betranken und von Bett zu Bett hüpften. » Freundin ist ein blödes Wort«, sagte er. »So wollte ich sie nicht nennen. Deshalb mussten wir heiraten, damit ich meine Frau sagen konnte.«
Meine Mutter kam aus einer zerrütteten Familie. Sie hat mir nie irgendwelche Einzelheiten erzählt, aber ich wusste, dass ihr Vater sie schon vor langer Zeit verlassen
hatte und über Jahre kein Kontakt zwischen ihrer Mutter und ihr bestanden hatte, obwohl wir Grandma und Papa Richard, wie meine Mutter ihren Stiefvater nannte, mittlerweile mehrmals im Jahr besuchten.
Und so bekam meine Mutter nicht nur einen Ehemann, sondern auch eine große, relativ intakte, relativ normale Familie dazu. Sie heiratete ihn, obwohl sie erst ein Jahr zusammen waren. Natürlich taten sie es auf ihre Art. Sie wurden von einer lesbischen Friedensrichterin getraut, während ihre Freunde eine Rockversion des Hochzeitsmarsches spielten. Die Braut trug ein weißes, mit Fransen besetztes Charleston-Kleid, und der Bräutigam war ganz in Leder gekleidet.
Ich wurde auf einer anderen Hochzeit gezeugt. Ein Freund meines Vaters aus der Musikbranche, der nach Seattle gezogen war, hatte seine Freundin geschwängert, und sie beschlossen, deswegen zu heiraten. Meine Eltern gingen zu der Hochzeit, und während des Empfangs tranken sie ein bisschen zu viel und waren später im Hotel nicht ganz so vorsichtig wie sonst. Drei Monate später zeigte eine dünne blaue Linie auf dem Schwangerschafts-Teststreifen das Ergebnis an.
So, wie sie es immer erzählten, wird deutlich, dass keiner von beiden wirklich auf die Elternschaft vorbereitet gewesen war. Keiner von ihnen fühlte sich als Erwachsener. Aber es gab überhaupt keine Frage, dass sie mich behalten würden. Meine Mutter plädierte für die Entscheidungsfreiheit der Frau. Auf ihrem Auto
prangte ein Aufkleber, auf dem stand: Wenn man mir keine eigene Wahl lässt, wie kann man mir dann ein Kind anvertrauen? Aber in ihrem Fall bedeutete die Möglichkeit zu wählen, dass sie mich behielt.
Mein Vater war unsicherer. Nervöser. Bis zu dem Moment, in dem der Arzt mich aus meiner Mutter gezogen hatte. Dann fing er an zu weinen.
»Das ist Quatsch«, sagte er immer, wenn meine Mutter die Geschichte erzählte. »Das habe ich nie und nimmer getan.«
»Du hast also nicht geweint?«, fragte meine Mutter mit amüsiertem Sarkasmus in der Stimme.
»Ich habe nicht geweint. Ich bin zerflossen .« Mein Vater zwinkerte mir zu und tat so, als würde er
Weitere Kostenlose Bücher