Wenn Ich Bleibe
was Gramps in Wahrheit wissen wollte. Er hatte die Worte der Schwester gehört und sie verstanden, noch vor mir.
Ob ich bleibe, ob ich lebe: Es liegt an mir.
Die ganze Sache über künstlich herbeigeführte Komas ist nichts weiter als das Gerede der Ärzte. Es liegt nicht in der Hand der Ärzte. Es liegt auch nicht in der Hand der Engel. Es liegt nicht einmal in Gottes Hand,
der – wenn Er existiert – sich noch nicht hat blicken lassen. Es liegt in meiner Hand.
Wie soll ich das entscheiden? Wie kann ich bleiben ohne meine Mutter und meinen Vater? Wie kann ich gehen ohne Teddy? Oder ohne Adam? Das ist zu viel. Ich verstehe ja nicht einmal, was das Ganze soll, warum ich hier bin, in diesem merkwürdigen, unerklär lichen Zustand, und wie ich wieder herauskomme, wenn ich das will. Wenn ich sagen würde: Ich will aufwachen, würde ich dann aufwachen? Ich habe ja schon meine Hacken zusammengeschlagen, um Teddy zu finden, und versucht, mich nach Hawaii zu beamen, und nichts davon hat funktioniert. Das alles scheint viel komplizierter zu sein.
Aber trotz allem glaube ich, dass es stimmt. Wieder denke ich an die Worte der Krankenschwester. Ich habe das Ruder in der Hand. Alles wartet nur auf mich.
Ich entscheide. Das weiß ich jetzt.
Und die Vorstellung erschreckt mich mehr als alles andere, was heute geschehen ist.
Wo zum Teufel steckt Adam?
Eine Woche vor Halloween, in meinem vorletzten Jahr auf der Highschool, tauchte Adam mit einem verschmitzten und triumphierenden Grinsen vor meiner Tür auf. In der Hand hielt er einen Kleidersack.
»Bereite dich darauf vor, vor Neid zu erblassen«, sagte er. »Ich habe das beste Kostüm überhaupt gefunden.
« Er zog den Reißverschluss des Kleidersacks auf. Drinnen hing ein weißes Rüschenhemd, ein paar Kniebundhosen und ein langer Wollmantel mit Epauletten.
»Du willst dich als Seinfeld verkleiden?«, fragte ich.
»Pff. Seinfeld! Und du willst eine Cellistin sein? Ich gehe als Mozart. Warte nur, bis du die Schuhe gesehen hast.« Er griff in den Kleidersack und holte ein paar klobige Treter aus schwarzem Leder mit hohen Absätzen und Metallschnallen über dem Steg heraus.
»Hübsch«, sagte ich. »Ich glaube, meine Mutter hat auch so welche.«
»Du bist ja bloß neidisch, weil du nicht so ein Spitzenkostüm hast. Und ich werde auch Strumpfhosen anziehen. Meine Männlichkeit kann nämlich durch nichts entstellt werden. Und ich ziehe eine Perücke auf.«
»Wo hast du das ganze Zeug her?«, fragte ich und betastete die Perücke. Sie fühlte sich an, als wäre sie aus Bärlauch gemacht.
»Online. Für’nen Hunderter.«
»Du hast hundert Dollar für ein Halloween-Kostüm ausgegeben?«
Bei der Erwähnung des Wortes Halloween kam Teddy die Treppe hinuntergesaust, schubste mich beiseite und zog an Adams Hosentasche. »Warte mal!«, befahl er, rannte wieder nach oben und kehrte Sekundenc später mit einer Tüte wieder zurück. »Ist das ein gutes Kostüm? Oder sehe ich darin aus wie ein Baby?«, fragte Teddy, zog eine Heugabel, ein Paar Teufelshörner,
einen roten Schwanz und einen roten Flanellschlafanzug aus der Tüte.
»Ohh!« Adam riss die Augen auf und trat einen Schritt zurück. »Die Klamotten erschrecken einen ja zu Tode! Und du hast sie noch nicht mal an!«
»Echt? Denkst du nicht, dass der Schlafanzug blöd aussieht? Ich will nicht ausgelacht werden«, erklärte Teddy und runzelte ernst die Stirn.
Ich grinste Adam an, der Mühe hatte, sein eigenes Lächeln zu verbergen. »Ein roter Schlafanzug plus Heugabel plus Teufelshörner plus spitzer Schwanz ist so satanisch, dass niemand sich mit dir anlegen würde, weil ihm sonst die ewige Verdammnis droht«, versicherte ihm Adam.
Teddys Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Dabei enthüllte er seine Zahnlücke; kürzlich war ihm ein Schneidezahn ausgefallen. »So was in der Art hat Mom auch gesagt, aber ich wollte sicher sein, dass sie das nicht nur so dahergeredet hat, damit ich das Kostüm anziehe. Du gehst doch mit mir zum Süßigkeitensammeln, oder?« Dabei schaute er mich an.
»Wie jedes Jahr«, antwortete ich. »Wo soll ich denn sonst Süßigkeiten herkriegen?«
»Kommst du auch mit?«, fragte er Adam.
»Das lasse ich mir nicht entgehen.«
Teddy drehte sich auf dem Absatz um und sauste wieder die Treppe hoch. Adam drehte sich zu mir um. »Teddy wäre versorgt. Was ziehst du an?«
»Ach, ich verkleide mich nicht gern.«
Adam verdrehte die Augen. »Ach, komm schon. Es ist Halloween! Das erste
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