Wenn Ich Bleibe
Halloween, das wir zusammen feiern. ›Shooting Star‹ hat an dem Abend einen großen Auftritt. Es ist ein Kostüm-Konzert, und du hast versprochen zu kommen.«
Innerlich stöhnte ich auf. Nach sechs Monaten mit Adam hatte ich mich gerade daran gewöhnt, dass uns die Leute in der Schule als Paar betrachteten, allerdings immer noch mit einem leicht schiefen Grinsen: Sie nannten uns »Der Schöne und das Biest«. Und ich war jetzt ein wenig entspannter in Anwesenheit von Adams Bandkameraden und blickte sogar manchmal bei den Gesprächen über Musik durch. Ich fing nicht mehr an zu zittern, wenn Adam mich ins House of Rock mitnahm, ein heruntergekommenes Gemäuer in der Nähe des College, wo der Rest der Band wohnte. Ich ertrug sogar die wilden Punkrock-Partys von seinen Kumpels, wo jeder etwas aus dem eigenen Kühlschrank mitbringen sollte. Das warfen wir dann zusammen und kochten uns etwas. Ich war ziemlich geschickt darin, aus vegetarischen Hacksteaks, Feta und Aprikosen etwas Essbares zu zaubern.
Aber immer noch hasste ich die Auftritte, und ich hasste mich dafür, dass ich sie hasste. Der dicke Qualm in den Klubs brannte mir in den Augen und hängte sich in meiner Kleidung fest. Die Verstärker waren auf volle Lautstärke gestellt, sodass die Musik nur noch plärrte
und mir die Ohren noch Stunden danach klingelten. Manchmal konnte ich deswegen nicht schlafen. Ich lag im Bett, ließ den verkorksten Abend wieder und wieder Revue passieren und fühlte mich bei jedem Mal mieser.
»Sag nicht, dass du kneifst!«, rief Adam und schaute mich gekränkt und gereizt an.
»Was ist mit Teddy? Wir haben versprochen, mit ihm Süßigkeiten zu sammeln...«
»Ja, um fünf Uhr nachmittags. Der Auftritt ist erst um zehn. Ich glaube, selbst Meister Ted kann nicht fünf Stunden lang in der Nachbarschaft herumlaufen und Naschsachen erbetteln. Du hast also keine Ausrede. Und du solltest dir besser etwas einfallen lassen, weil ich so unglaublich heiß aussehen werde, auf eine altmodisch-morbide Art und Weise.«
Nachdem Adam gegangen war, um Pizzas auszuliefern, fühlte ich eine schmerzhafte Grube im Magen. Ich ging nach oben, um an dem Dvořák zu arbeiten, den Professor Christie mit mir einübte, und um darüber nachzudenken, was genau mir Probleme machte. Warum mochte ich die Auftritte nicht? Weil »Shooting Star« langsam berühmt wurden und ich eifersüchtig war? Störte mich vielleicht die wachsende Zahl der Groupies? Die Vermutung war naheliegend, aber das war nicht der Grund.
Nachdem ich etwa zehn Minuten lang gespielt hatte, dämmerte es mir: Meine Aversion gegen Adams Auftritte hatte nichts mit der Musik, den Groupies oder
mit Eifersucht zu tun. Es hatte etwas mit Selbstzweifeln zu tun, mit denselben Zweifeln, die mich immer glauben ließen, ich sei eine Außenseiterin. Ich hatte den Eindruck, ich würde nicht zu meiner Familie gehören, und jetzt fühlte ich das Gleiche bei Adam. Aber anders als meine Familie, die mich nun einmal nicht umtauschen konnte, hatte Adam mich erwählt, und das verstand ich einfach nicht. Warum hatte er sich ausgerechnet in mich verliebt? Es ergab keinen Sinn. Ich wusste, dass uns anfangs die Musik verbunden, uns an denselben Ort geführt hatte, damit wir uns kennenlernten. Und ich wusste, dass es Adam gefiel, wie sehr ich mich von der Musik mitreißen ließ. Und dass er meinen Sinn für Humor mochte, »so schwarz, dass man ihn häufig gar nicht sieht«, wie er immer sagte. Und wenn wir gerade bei der Schwärze sind: Ich wusste, dass er auf dunkelhaarige Mädchen steht, denn all seine bisherigen Freundinnen waren brünett gewesen. Und ich wusste, dass wir, wenn wir alleine waren, stundenlang miteinander reden konnten, oder einfach nur nebeneinandersitzen, jeder mit dem iPod im Ohr, und uns dabei rundum wohl fühlten. Ich verstand all das in meinem Kopf, aber ich konnte es im Herzen nicht glauben. Wenn ich bei Adam war, fühlte ich mich auserwählt, besonders, einzigartig, und das führte mich wieder zu der Frage: Warum ich?
Und vielleicht war das der Grund, warum ich – obwohl sich Adam freiwillig Schubert-Symphonien aussetzte,
die Konzerte besuchte, bei denen ich spielte, und mir bei jedem Auftritt rot-weiße Lilien mitbrachte, meine Lieblingsblumen – eher freiwillig zum Zahnarzt ging als zu seinen Auftritten. Ich fühlte mich so gemein. Ich dachte daran, was meine Mutter manchmal zu mir sagte, wenn ich unsicher und nervös war: »Fake it till you make it – tu so, als ob; irgendwann
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