Wenn Ich Bleibe
heiße Biene, die ich vorgab zu sein. Fake it till you make it funktionierte tatsächlich.
Der Klub, in dem »Shooting Star« an diesem Abend spielte, war gerammelt voll. Jeder war verkleidet, die meisten der Mädchen in aufreizenden Kostümen: französische Stubenmädchen in engen Korsetts, peitschenschwingende Dominas, verdorbene Versionen von Dorothy aus »Der Zauberer von Oz«, deren Röcke hochgesteckt waren, damit man die Strapse darunter sehen konnte. Normalerweise fühlte ich mich bei einem solchen Anblick wie ein Bauerntrampel. Aber nicht in dieser Nacht, selbst wenn niemand bemerkte, dass ich ein Kostüm trug.
»Du solltest dich doch verkleiden«, tadelte mich das Skelett hinter der Theke, bevor es mir ein Bier reichte.
»Verdammt, ich liebe diese Hosen!«, brüllte mir ein Mädchen in einem Charleston-Kleid ins Ohr. »Hast du die in Seattle gekauft?«
»Bist du nicht eine vom ›Crack House Quartet‹?«, fragte mich ein Typ mit einer Hillary-Clinton-Maske und meinte damit eine Hardcore-Band, die Adam vergötterte und ich verabscheute.
Als »Shooting Star« auftraten, ging ich nicht, wie sonst, hinter die Bühne. Dort setze ich mich normalerweise auf einen Stuhl, schaue mir in aller Ruhe die Show an und muss mit niemandem reden. Diesmal blieb ich an der Bar, und als mich das Charleston-Mädchen am Ärmel packte, ließ ich mich von ihr auf die Tanzfläche ziehen.
Ich war noch niemals auf der Tanzfläche gewesen. Es machte mir keinen Spaß, mich im Kreis zu drehen, während mir besoffene, grölende Kerle in Lederklamotten auf die Zehen traten. Aber in dieser Nacht ließ ich mich mitreißen. Ich begriff, was den Reiz ausmachte, seine eigene Energie mit der der Menge zu vereinigen und ihre in sich aufzunehmen. Wie man, wenn es wild wurde, auf der Tanzfläche nicht hin- und herlief oder tanzte, sondern vielmehr mit in einen wirbelnden Mahlstrom hineingerissen wurde.
Als Adam fertig war, war ich es auch. Ich keuchte und war genauso schweißnass wie er. Ich ging nicht hinter
die Bühne, um ihn zu begrüßen, bevor sich alle möglichen Leute an ihn hängten. Ich wartete, dass er in den Klubraum kam, um seine Fans zu treffen, wie er es nach jedem Auftritt tat. Und als er kam, mit einem Handtuch über den Schultern und einer Flasche Wasser in der Hand, warf ich mich ihm an den Hals und küsste ihn heiß und feucht, vor aller Augen. Ich fühlte, wie er lächelte, als er meinen Kuss erwiderte.
»So so, sieht so aus, als ob sich jemand vom Geiste Debbie Harrys inspiriert fühlt«, sagte er und wischte sich den Lippenstift vom Kinn.
»Wahrscheinlich. Was ist mit dir? Fühlst du dich wie Mozart?«
»Alles, was ich über ihn weiß, habe ich aus einem Film. Aber ich erinnere mich, dass er ziemlich geil auf Frauen war, und nach diesem Kuss – ja, ich glaube, ich fühle mich wie Mozart. Willst du nach Hause? Ich kann den Kram verladen, und dann können wir gehen.«
»Nein, lass uns noch bleiben.«
»Wirklich?« Adam hob überrascht die Augenbrauen.
»Ja. Vielleicht tanze ich sogar mit dir.«
»Hast du was getrunken?«, neckte er mich.
»Nichts Alkoholisches, nur Kool-Aid«, gab ich zurück.
Wir tanzten, bis der Klub zumachte. Nur ab und zu blieben wir mitten im Lied stehen, um zu knutschen.
Auf dem Heimweg hielt Adam meine Hand, während er Auto fuhr. Regelmäßig warf er mir einen Blick zu, schüttelte den Kopf und lächelte dabei.
»Also gefalle ich dir so?«, fragte ich.
»Hmm«, erwiderte er.
»Ist das ein Ja oder ein Nein?«
»Natürlich gefällst du mir.«
»Nein, ich meine: so. Gefalle ich dir so, wie ich heute Abend bin?«
Adam richtete sich auf. »Es gefällt mir, dass du den Auftritt genossen hast und nicht gleich wieder nach Hause wolltest. Und mit dir zu tanzen, war irre gut. Und es gefiel mir, wie locker du auf einmal mit meinen Leuten umgegangen bist.«
»Aber gefalle ich dir so besser?«
»Besser als was?«, fragte er verwirrt.
»Besser als normal.« Langsam wurde ich gereizt. Ich hatte mich heute Nacht so schamlos gefühlt, als ob mich das Halloween-Kostüm mit einer neuen Persönlichkeit ausgestattet hätte, einer, die Adams würdiger war als meine alte – eine, die meiner Familie würdiger war. Ich versuchte, ihm das zu erklären, und merkte auf einmal, dass ich den Tränen nahe war.
Adam schien zu spüren, dass ich aus der Fassung zu geraten drohte. Er fuhr mit dem Wagen auf einen Waldweg, stellte den Motor ab und drehte sich zu mir um. »Mia, Mia, Mia«, sagte er und
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