Wenn Ich Bleibe
durch junge Liebe beeindrucken zu lassen.
»Das verstehe ich. Und ich bin dankbar dafür«, sagt Adam. Er versucht sein Bestes, will sich an die Regeln halten, will erwachsen und sachlich klingen, aber ich höre das Kratzen in seiner Stimme, als er sagt: »Ich muss sie unbedingt sehen.«
»Es tut mir leid, aber wir können nur den engsten Familienangehörigen den Zutritt gestatten.«
Ich höre Adam aufkeuchen. Den engsten Familienangehörigen. Die Krankenschwester ist nicht bewusst grausam. Sie hat keine Ahnung, aber das weiß Adam nicht. Ich möchte ihn gerne beschützen, und gleichzeitig möchte ich die Schwester vor dem beschützen, was er ihr möglicherweise antun wird. Ich strecke instinktiv die Hand nach ihm aus, obwohl ich ihn nicht berühren kann. Aber er steht jetzt mit dem Rücken zu mir. Er lässt die Schultern hängen, und seine Beine geben leicht unter ihm nach.
Kim, die sich bisher zurückgehalten hat, steht jetzt mit einem Sprung neben ihm und umschließt mit ihren Armen seinen fallenden Körper. Während sie ihn um die Hüfte gepackt festhält, wendet sie sich der Schwester zu. Ihre Augen funkeln vor Zorn. »Sie verstehen überhaupt nichts!«, schreit sie.
»Muss ich den Sicherheitsdienst rufen?«, fragt die Schwester.
Adam winkt ab, ergibt sich der Schwester und flüstert Kim ins Ohr: »Nicht.«
Kim schweigt. Ohne ein weiteres Wort legt sie sich seinen Arm über die Schulter und wuchtet sein Gewicht auf ihre Hüfte. Adam ist etwa dreißig Zentimeter größer als Kim und etwa fünfzig Pfund schwerer, aber nachdem sie ganz kurz schwankt, hat sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden. Sie trägt seine Last.
Kim und ich haben eine Theorie entwickelt, wonach sich fast alles auf der Welt in zwei Gruppen unterteilen lässt.
Es gibt Menschen, die klassische Musik mögen, und Menschen, die Popmusik bevorzugen. Es gibt Stadtmenschen und Landmenschen. Leute, die Coke trinken und solche, die Pepsi bevorzugen. Es gibt solche, die sich anpassen, und andere, die sich das selbstständige Denken nicht nehmen lassen. Jungfrauen und solche, die es nicht sind. Und es gibt Mädchen, die auf der Highschool mit einem Jungen gehen, und andere, die es nicht tun.
Kim und ich hatten immer angenommen, dass wir beide in die letzte Kategorie gehörten. »Nicht, dass wir alte Jungfern werden oder so etwas«, versicherte sie mir. »Wir gehören nur zu den Mädchen, die sich erst auf dem College einen Typen suchen.«
Das hatte mir stets eingeleuchtet, war mir sogar recht gewesen. Meine Mutter hatte zu der Sorte Mädchen gehört, die bereits auf der Highschool mit Jungen ausging, und sie hatte oft erklärt, sie wünschte, sie hätte damit nicht ihre Zeit verschwendet. »Ein Mädchen will sich nicht ständig mit irgendeinem Großmaul betrinken, später kotzen und danach auf dem Rücksitz eines Pickup herumknutschen. Die Typen, die ich damals kannte, hielten das aber für einen romantischen Abend.«
Mein Vater andererseits hatte erst auf dem College Beziehungen. In der Highschool war er schüchtern gewesen, aber dann fing er an, Schlagzeug zu spielen, und stieg im ersten Jahr auf dem College bei einer Punkband ein und – schwupp! – schon rissen sich die Mädchen um ihn. Er hatte ein paar Freundinnen gehabt, bevor er meine Mutter traf, und damit – schwupp! – eine Ehefrau. Irgendwie dachte ich immer, dass mein Weg ähnlich verlaufen würde.
Und so war es sowohl für Kim als auch für mich selbst eine Überraschung, als ich mich dann doch in der ersten Gruppe wiederfand, in derjenigen mit den Highschool-Liebschaften. Zuerst versuchte ich, die Sache herunterzuspielen. Nach dem Yo-Yo-Ma-Konzert erzählte ich Kim keine Einzelheiten. Den Kuss erwähnte ich mit keinem Wort. Mir gegenüber begründete ich mein Verhalten damit, dass man sich ja über einen Kuss nicht aufregen müsse. Ein Kuss macht noch keine Beziehung.
Ich hatte schon früher Jungen geküsst, und normalerweise hatten sich diese Küsse am nächsten Tag in Luft aufgelöst wie ein Tautropfen in der Sonne.
Und doch wusste ich, dass der Kuss zwischen Adam und mir sehr wohl die Aufregung wert war. Ich wusste es wegen der Wärme, die meinen Körper an jenem Abend durchflutete, nachdem er mich nach Hause gebracht hatte, wo er mich noch einmal auf meiner Türschwelle küsste. Ich wusste es, weil ich bis zum Morgengrauen wachgelegen und mein Kopfkissen umarmt hatte. Ich wusste es, weil ich am nächsten Tag nichts essen konnte und von morgens bis abends mit einem
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