Wenn Ich Bleibe
Grinsen im Gesicht herumlief. Ich erkannte, dass der Kuss eine Tür war, die ich durchschritten hatte. Und ich wusste, dass ich Kim auf der anderen Seite zurückgelassen hatte.
Nach einer Woche und etlichen weiteren, verstohlenen Küssen war mir klar, dass ich Kim reinen Wein einschenken musste. Wir gingen eines Nachmittags nach der Schule einen Kaffee trinken. Es war Mai, aber es goss in Strömen, wie im November. Mein Vorhaben schnürte mir die Kehle zu.
»Ich bezahle. Trinkst du wieder dein übliches Schickimicki-Zeug?«, fragte ich. Das war eine weitere Kategorie, die wir festgelegt hatten: Leute, die ganz normalen Kaffee tranken, und solche, die irgendwelches aromatisiertes Gesöff zu sich nahmen, wie den Milchkaffee mit Minzstückchen, den Kim so mochte.
»Ich glaube, heute versuche ich mal den Milchkaffee mit Zimt und Chaigewürz«, sagte sie und warf mir einen strengen Blick zu, als wollte sie sagen: Ich werde meinen Geschmack keinesfalls verleugnen.
Ich besorgte uns die Getränke und ein Stück Marionbeeren-Kuchen – eine Gebäckspezialität aus Oregon – mit zwei Gabeln. Ich setzte mich Kim gegenüber und fuhr mit der Gabel die zerklüftete, knusprige Kruste entlang.
»Ich muss dir was sagen«, fing ich an.
»Zum Beispiel, dass du einen Freund hast?« Kims Stimme klang amüsiert, aber obwohl ich den Blick gesenkt hielt, wusste ich, dass sie die Augen verdrehte.
»Woher weißt du das?«, fragte ich und schaute sie an. Nochmaliges Augenrollen. »Also bitte. Das weiß doch jeder. Überall wird darüber getratscht; ihr seid das Gesprächsthema, seit Melanie Farrow von der Schule abgegangen ist, weil sie schwanger war. Das ist so, als würden sich der Präsidentschaftskandidat der Demokraten und der der Republikaner das Jawort geben.«
»Wer hat was vom Heiraten gesagt?«
»Das war nur bildlich gesprochen«, sagte Kim. »Wie auch immer, ich weiß es. Ich wusste es sogar vor dir.«
»Quatsch.«
»Ach, komm schon. Ein Typ wie Adam geht zu einem Yo-Yo-Ma-Konzert? Er hat dir Honig ums Maul geschmiert.«
»So ist das nicht«, widersprach ich, obwohl es natürlich genauso war.
»Ich verstehe nur nicht, warum du es mir nicht schon früher gesagt hast«, sagte sie leise.
Ich wollte ihr das ganze Gefasel von wegen Ein Kuss macht noch keine Beziehung vorsetzen und ihr erklären, dass ich mich nicht über solche Kleinigkeiten auslassen wollte, aber ich schwieg. »Ich hatte Angst, dass du böse sein würdest«, sagte ich stattdessen.
»Ich bin nicht böse«, sagte Kim. »Aber ich werde es sein, wenn du mich je wieder anlügst.«
»Okay«, sagte ich.
»Oder wenn du dich in eine von diesen Zicken verwandelst, die immer hinter ihrem Freund herrennen und nur noch in der Mehrzahl reden: › Wir mögen den Winter. Wir finden, dass ›Velvet Underground‹ musikalisch richtungsweisend sind‹.«
»Du weißt genau, dass ich mit dir nie über Rockmusik reden würde. Weder in der Einzahl, noch in der Mehrzahl.«
»Gut«, sagte Kim, »denn wenn du so eine blöde Ziege wirst, erschieße ich dich.«
»Wenn ich so eine blöde Ziege werde, werde ich dir persönlich das Schießeisen überreichen.«
Darüber musste Kim dann richtig lachen, und die Spannung war wie weggeblasen. Sie schob sich ein Stück Kuchen in den Mund. »Was sagen deine Eltern dazu?«
»Dad hat die fünf Phasen der Trauer durchlebt – Verleugnung, Zorn, Akzeptanz und so weiter – alles an einem einzigen Tag. Ich glaube, am meisten verunsichert ihn, dass er alt genug ist, um eine Tochter zu haben, die einen Freund nach Hause bringt.« Ich schwieg kurz und nippte an meinem Kaffee, dachte darüber nach, was ich gerade gesagt hatte. »Und er meint, er kann einfach nicht glauben, dass ich mit einem Musiker gehe.«
»Du bist doch auch Musikerin«, sagte Kim.
»Du weißt schon, mit einem, der Punk und Rockmusik macht.«
»›Shooting Star‹ machen Emocore«, korrigierte mich Kim. Anders als ich, kennt sie sich in den verschiedenen Musikrichtungen bestens aus: Punk, Indie, Alternative, Hardcore, Emocore.
»Das meiste ist bloß heiße Luft, du weißt schon, irgendwie Teil dieses ganzen Schlipsträgergehabes. Ich glaube, Dad mag Adam. Die beiden haben sich kennengelernt, als Adam mich zum Konzert abholte. Jetzt will er, dass ich ihn zum Abendessen mitbringe, aber wir sind doch erst seit einer Woche zusammen. Ich bin irgendwie noch nicht bereit, Adam in meine Familie einzuführen.«
»Ich glaube, dazu werde ich nie bereit sein.« Kim erschauerte
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