Wenn Ich Bleibe
sein.
Ich bin so ein Feigling.
Ich schaue auf die Uhr an der Wand. Es ist nach sieben. »Shooting Star« werden also nicht als Vorgruppe für »Bikini« spielen. Es wäre so eine große Chance für die Band gewesen. Einen Moment lang frage ich mich,
ob die anderen ohne Adam auftreten werden. Ich bezweifle es stark. Er ist nicht nur Leadsänger und Gitarrist, die Band hat auch ihren eigenen Ehrenkodex. Loyalität den eigenen Gefühlen gegenüber ist wichtig. Letzten Sommer, als Liz und Sarah sich trennten – sie waren einen Monat später wieder zusammen – und Liz zu durcheinander war, um zu spielen, sagten sie die Auftritte für eine Woche ab, obwohl Gordon, der in einer anderen Band Schlagzeug spielt, anbot, für Liz einzuspringen.
Ich schaue zu, wie Adam auf den Eingang des Krankenhauses zugeht. Kim geht dicht hinter ihm. Direkt vor dem Vordach und den automatischen Türen dahinter schaut er zum Himmel hinauf. Er wartet auf Kim, aber ich möchte auch glauben, dass er nach mir Ausschau hält. Sein Gesicht, das vom Flutlicht angeleuchtet wird, ist ausdruckslos, als ob jemand alles aus ihm herausgewaschen und nur noch eine leere Hülle übrig gelassen hätte. Er wirkt nicht wie er selbst. Aber wenigstens weint er nicht.
Das gibt mir den Mut, ihm entgegenzugehen. Oder besser gesagt: zu mir zu kommen, auf die Intensivstation, wo er hinwill. Adam kennt meine Großeltern, meine Cousine und meine Cousins, und ich denke mir, dass er sich später zur allgemeinen Nachtwache zu ihnen ins Wartezimmer gesellen wird. Aber im Augenblick will er zu mir.
Auf der Intensivstation scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Einer der Chirurgen, die mich operiert haben – derjenige, der so viel geschwitzt hat und, als er mit der Musikauswahl dran war, »Weezer« einlegte -, sieht gerade nach mir.
Das Licht ist künstlich und gedämpft und wird nie heller oder dunkler, aber auch hier hat eine gewisse Abendstimmung eingesetzt. Es ist stiller geworden, weniger hektisch als während des Tages, als ob all die Krankenschwestern, Pfleger und auch die Maschinen müde geworden wären und auf Energiesparmodus umgeschaltet hätten.
Als Adams Stimme von draußen auf dem Flur durch die Station schallt, schreckt er das ganze Personal auf.
»Was meinen Sie damit, ich kann nicht hinein?«, donnert er.
Ich gehe durch den Raum und stehe direkt vor den automatischen Türen. Ich höre, wie die Aufsicht draußen Adam erklärt, dass er zu diesem Teil des Krankenhauses keinen Zutritt hat.
»Das ist doch die absolute Scheiße!«, brüllt Adam.
Innerhalb der Station blicken alle Schwestern mit wachsamen, aber müden Augen zur Tür. Sie denken bestimmt: Haben wir hier drinnen nicht genug zu tun, auch ohne dass wir noch irgendwelche Irren da draußen beruhigen müssen? Ich will ihnen erklären, dass Adam kein Irrer ist. Dass er nur selten die Stimme erhebt, und dann auch nur, wenn es nicht anders geht.
Die Oberschwester mittleren Alters mit dem ergrauenden Haar, die sich nicht um die Patienten kümmert, sondern stets am Schreibtisch sitzt und die Monitore, die Computer und das Telefon überwacht, nickt knapp und steht dann auf, als ob sie eine Anweisung erhalten hätte. Sie streicht sich ihre zerknitterten weißen Hosen glatt und geht auf die Tür zu. Sie ist nicht unbedingt die geeignete Person, um mit ihm zu reden. Ich wünschte, dass ich ihnen sagen könnte, sie sollten Schwester Ramirez schicken, die meine Großeltern beruhigt (und mich völlig durcheinandergebracht) hat. Sie wäre in der Lage, ihn zu besänftigen. Aber diese da wird es nur schlimmer machen. Ich folge ihr durch die Tür, wo Adam und Kim mit dem Pfleger, der die Aufsicht hat, streiten. Der schaut die Krankenschwester an. »Ich habe ihnen gesagt, dass sie nicht hier sein dürfen«, erklärt er. Die grauhaarige Schwester entlässt ihn mit einer leichten Handbewegung.
»Kann ich Ihnen helfen, junger Mann?«, fragt sie Adam. Sie klingt gereizt wie einige der Lehrerkollegen meines Vaters, von denen er behauptet, sie würden nur noch auf ihre Pensionierung warten.
Adam räuspert sich und versucht, sich zusammenzureißen. »Ich möchte eine Ihrer Patientinnen besuchen«, sagt er und deutet auf die Tür zur Intensivstation hinter ihr.
»Ich fürchte, das wird nicht möglich sein«, erwidert sie.
»Aber meine Freundin, Mia, sie ist …«
»Sie wird bestens versorgt«, unterbricht ihn die Schwester. Sie hört sich müde an, zu müde, um Mitgefühl aufzubringen, zu müde, um sich
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