Wenn Ich Bleibe
habe genau zwanzig Minuten Zeit, bevor unser Manager einen Herzanfall bekommt.« Brooke Vegas raue Stimme dröhnt in der mittlerweile leeren und stillen Eingangshalle. Das also ist Adams Idee: Brooke Vega, die Indie-Göttin und Sängerin der Band »Bikini«. In ihrem punkigen Glam-Outfit – kurzer Ballonrock, Netzstrümpfe, hohe schwarze Lederstiefel, ein kunstvoll zerrissenes »Shooting Star«-T-Shirt, halb verdeckt von einer Stola aus Kunstnerz, und zu guter Letzt noch eine Brille à la Jackie Onassis auf der Nase – wirkt sie in der Eingangshalle eines Krankenhauses so fehl am Platz wie ein Vogel Strauß in einer Schar Hühner. Um sie herum stehen Liz und Sarah, Mike und Fitzy (der Gitarrist und der Bassist von »Shooting Star«), sowie eine Handvoll Portland-Hipster, die ich vom Sehen her kenne. Mit ihrem magentafarbenen Haar ist Brooke wie die Sonne, um die bewundernd ihre Planeten kreisen. Adam ist wie der Mond. Er hält sich abseits und streicht sich übers Kinn. Kim dagegen wirkt völlig schockiert, als ob eine Horde Marsmenschen das Gebäude betreten hätte. Oder vielleicht liegt es auch daran,
dass Kim Brooke Vega vergöttert. Adam übrigens auch. Abgesehen von der Freundschaft zu mir war das eines der wenigen Dinge, die sie gemeinsam hatten.
»Du bist in fünfzehn Minuten wieder draußen«, verspricht Adam und betritt ihre Umlaufbahn.
Sie geht auf ihn zu. »Adam, Baby«, gurrt sie. »Wie geht’s dir?« Brooke umfasst ihn in einer Umarmung, als ob sie alte Freunde wären, obwohl ich weiß, dass sie sich erst heute kennengelernt haben. Noch gestern sagte Adam zu mir, wie nervös er deswegen sei. Aber jetzt tut sie so, als sei er ihr bester Freund. Das ist die Macht der Szene, nehme ich an. Während sie Adam umarmt, sehe ich, wie jeder Typ und jedes Mädchen sie hungrig beäugt. Sie wünschen sich, dass sie selbst einen geliebten Menschen hätten, der mit dem Tode ringend auf der Intensivstation liegt, damit sie ebenfalls in den Genuss einer tröstenden Umarmung von Brooke Vega kommen könnten.
Ich frage mich, ob ich, wenn ich wahrhaftig anwesend wäre und diese Szene als die gute alte Mia beobachten würde, eifersüchtig wäre. Aber wenn ich als die gute alte Mia anwesend wäre, würde Brooke Vega nicht hier in der Eingangshalle des Krankenhauses stehen, wäre nicht Teil von Adams grandiosem Plan, zu mir zu gelangen.
»Okay, Kids. Lassen wir es rocken. Adam, wie sieht dein Plan aus?«, fragte Brooke.
»Du bist der Plan. Ich hatte eigentlich nicht weiter
gedacht als bis zu dem Moment, in dem du auf der Intensivstation auftauchst und ein Riesen-Tamtam veranstaltest.«
Brooke leckt sich über die üppigen Lippen. »Ein Riesen-Tamtam zu veranstalten gehört zu meinen Lieblingshobbys. Was meinst du? Soll ich einen Urschrei ausstoßen? Eine Gitarre zertrümmern? Warte mal, ich habe meine Gitarre gar nicht dabei. Verdammt.«
»Du könntest etwas singen«, schlägt jemand vor.
»Wie wär’s mit diesem alten Song von den Smiths, ›Girl in a Coma‹?«, ruft jemand.
Diese Bemerkung lässt Adam erbleichen, und Brooke hebt streng die Augenbrauen. Alle Anwesenden werden mit einem Mal ernst.
Kim räuspert sich. »Ähm, ich glaube nicht, dass es für uns von Vorteil ist, wenn Brooke hier in der Eingangshalle für Ablenkung sorgt. Wir müssen hoch zur Intensivstation, und dann könnte vielleicht jemand laut rufen, dass Brooke Vega hier ist. Das reicht möglicherweise schon. Wenn nicht, dann musst du etwas singen, Brooke. Wir müssen nur ein paar neugierige Schwestern herauslocken, damit der Oberbesen hinter ihnen her rennen muss. Wenn sie aus der Intensivstation rauskommt und uns alle im Flur sieht, ist sie viel zu beschäftigt, um auf Adam zu achten, der sich hineinschleichen kann.«
Brooke wirft Kim einen prüfenden Blick zu, meiner Kim in ihren zerknautschten schwarzen Hosen und
dem langweiligen Sweatshirt. Dann lächelt Brooke und hakt sich bei meiner besten Freundin unter. »Hört sich nach einem guten Plan an. Also, Abmarsch, Kids!«
Ich bleibe zurück und schaue der Prozession von Hipstern nach, die sich durch die Halle schlängelt. Allein schon der Lärm, den sie veranstalten – die schweren Stiefel, die lauten Stimmen, erregt durch die außergewöhnliche Situation -, dringt wie ein Donnerhall durch die Stille des Krankenhauses und haucht diesem Ort etwas Leben ein. Ich erinnere mich, dass ich einmal im Fernsehen eine Sendung über ein Altenheim gesehen habe, wo man Hunde und Katzen zu den alten
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