Wenn ich dich gefunden habe
noch bei keinem der unzähligen Friseure untergekommen, die in all den Jahren versucht hatten, seine Stirnfransen zu bändigen – und gescheitert waren.
»Wovor haben Sie Angst?«, fragte er sanft.
Sie hatte sich auf die Unterlippe gebissen, genau wie Dara es immer tat. »Davor, dass sie ihn findet.«
Stanley blickte auf den Bildschirm. Vierzig Minuten Verspätung. Er würde gleich mal auf die Toilette gehen und sich noch einmal davon überzeugen, dass er keine Designerunterhose mit Metalletikett trug, und dann würde er sich der Sicherheitskontrolle stellen.
66
Nach der ersten Zigarette fasste Dara einen Entschluss. Sie würde vor Haus Nummer 124 sitzen bleiben, bis sich etwas tat. Irgendetwas. Sie würde sich hier nicht wegbewegen, ehe sie etwas über Mr. Flood – oder Mr. Waters – in Erfahrung gebracht hatte. Etwas anderes als das, was sie bereits wusste, was zugegebenermaßen nicht viel war. Jedenfalls war bis jetzt nicht allzu viel Aufschlussreiches dabei gewesen.
Sie rauchte drei Zigaretten und trank das Wasser aus, das sie am Flughafen gekauft hatte. Dann musste sie auf die Toilette. Sie kämpfte dagegen an, so lange es ging. Stand auf, ging ein wenig auf und ab, setzte sich wieder, überkreuzte die Beine und wippte mit dem ganzen Körper wie zu einem Song, den nur sie hören konnte. Am Ende der Straße gab es ein paar Läden. Dara erkannte die Namen von den Flyern, die drinnen im Korridor auf dem Tisch lagen.
Es gab auch ein Café. Angel’s stand in einem Halbkreis auf dem Fenster. Dara, die sonst nichts auf so etwas gab, wertete das als ein Zeichen. Ein gutes Zeichen.
Ein Glöckchen klingelte, als sie die Tür öffnete und eintrat. Sie hielt sich nicht lange mit einer Bestellung auf, sondern steuerte gleich auf die Toilette zu. Erst danach bestellte sie einen Latte macchiato, einen Espresso und zwei Croissants ohne Füllung.
»Zum Mitnehmen, bitte«, fügte sie hinzu und schob ein paar Münzen über den Tresen. Die mollige Angestellte dahinter trug einen weißen Kittel und hatte ein Haarnetz über ihren festen Dutt gespannt.
Dann ging die Tür auf und ein Golden Retriever, den die Frau hinter der Theke Rosy-Lee nannte, spazierte herein. Dara lächelte, und schon war sie mitten in einer Unterhaltung.
»Dieses Lächeln würde ich überall erkennen«, sagte die Frau, die nun ihrerseits lächelte und dabei zwei lange, schmale Schneidezähne entblößte, die Dara an Tintins glückloses Kaninchen Fluffy erinnerten. Dara konzentrierte sich auf die freundlichen Augen der Frau, deren dunkles Braun an die Schokolade auf einem Eclair erinnerte. »Sie müssen mit Gene Waters verwandt sein.«
Dara spürte, wie ein Ruck durch ihren Körper ging, fast wie ein Stromschlag. Endlich. Ein Hinweis. »Ja, ich bin seine Tochter«, sagte sie zu der Frau, die sich ihr als Deirdre vorstellte.
»Seine Tochter?«, wiederholte Deirdre, und ihr Lächeln erstarb. »Ich wusste gar nicht, dass er eine Familie hat.«
»Hat er«, sagte Dara überflüssigerweise. »Ich … bin hier, um ihn zu besuchen. Ein Überraschungsbesuch. Aber er scheint nicht zu Hause zu sein. Wissen Sie zufällig, wo er sein könnte?«
Die Frau stemmte die Hände in die üppigen Hüften und legte den Kopf schief. »Hm, wenn ich’s mir recht überlege, hab ich ihn schon eine ganze Weile nicht gesehen. Ein paar Wochen bestimmt. Dabei kam er sonst immer auf dem Nachhauseweg von der Arbeit hier vorbei, um etwas zu essen.«
»Wo arbeitet er denn?« Dara hatte das Gefühl, dem
unauffindbaren Mr. Flood endlich ein Stückchen näher zu kommen.
»Auf einer Baustelle unten am Hafen. Aber den Weg dorthin können Sie sich sparen. Da ist heute keiner.«
»Warum nicht?«, fragte Dara enttäuscht.
»Äh, weil heute Sonntag ist, Herzchen«, sagte Deirdre mit etwas lauterer Stimme, als wäre sie zu dem Schluss gekommen, dass Dara etwas schwer von Begriff war.
»Ach so, natürlich. Das war mir nur kurz entfallen.« Dara nahm ihre beiden Becher und die Tüte mit den Croissants.
Deirdre beugte sich über den Tresen und bedeckte Daras kleine, trockene Hand mit ihrer großen, mehlstaubigen. »Wahrscheinlich hat er sich bloß ein neues Café gesucht. Eines, in dem die Bedienungen jünger und hübscher sind als Rosy-Lee und ich.« Sie zwinkerte Dara zu, als wollte sie auf eine Angewohnheit oder Eigenschaft von Mr. Flood anspielen, von der sie beide wussten. Dara hatte eine vage Vorstellung davon, was damit gemeint war, aber ganz sicher war sie nicht. Wann
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