Wenn ich dich gefunden habe
ihrem Kopf festgesetzt und er hielt sich hartnäckig und tippte ihr immer wieder auf die Schulter. Denn so schlecht die Chancen auch standen, es war nicht ausgeschlossen, dass es klappen würde. Und dann war da noch etwas anderes: Sie war wohl schon seit jeher neugierig auf Mr. Flood, ihren Vater. Auf den Mann, der einfach losmarschiert und nie zurückgekommen war. Immer und immer wieder schwirrte Dara dieselbe Frage durch den Kopf, wie eine Fliege, die unermüdlich gegen ein geschlossenes Fenster prallt: Warum?
Doch der richtige Moment ließ auf sich warten. Sie hatten sich verändert, alle drei, seit Angel die Hoffnung aufgegeben hatte. Sie bewegten sich zwar nach vorn, doch ohne Angels selbstbewusstes Ausschreiten hinkten sie. Ohne die positive, lebensbejahende Energie, die Angel jahrelang en masse in ihrem Haus, in ihrem Leben verströmt hatte, wirkte alles irgendwie stiller. Leerer.
Angel ging nach wie vor dreimal wöchentlich zur Dialyse, aber das war auch schon alles, was sie tat. Ihrer Arbeit blieb sie fern. Zugegeben, die Direktorin, eine liebenswürdige, sanftmütige Frau namens Dorothy Stern hatte ihr
geraten, zu Hause zu bleiben, aber das hatte Angel bisher nie abgehalten. Nun lag sie stundenlang in ihrem ungemachten Bett und guckte eine sinnlose Fernsehserie nach der anderen. Die meisten davon waren Wiederholungen, doch sie hatte sie noch nie gesehen – bei ihrem ausgefüllten Leben hatte sie nie Zeit zum Fernsehen gehabt. Sie hörte auch Musik. Dara vernahm die leisen Klänge durch Angels geschlossene Zimmertür. Lauter deprimierende Songs von Joy Division und Leonard Cohen, von Radiohead und Morrissey und The Smiths. Da hätte jeder den Lebenswillen verloren.
Dara und Mrs. Flood hielten abwechselnd Wache, ohne sich diesbezüglich abgesprochen zu haben. Dara ging morgens etwas früher zur Arbeit, damit sie zeitig Feierabend machen und Mrs. Flood in ihrem Haarmonie -Wagen aufbrechen konnte, um den Frauen in Donaghmede, Kilbarrack, Edenmore und Raheny die Haare zu zähmen. Angel schien es nicht zu bemerken.
Dara zog in Erwägung, die Angelegenheit mit Ian Harte zu besprechen. Aber sie hatte keine Ahnung, wo sie anfangen sollte, zumal Ian sehr wenig über Daras Familie wusste. Sie unterhielten sich zwar, aber ihre Gespräche verliefen alle in etwa nach demselben Muster und drehten sich um Bücher, Filme, Penelope (Ians Chihuahua) oder Daras Schützlinge im Hundeasyl, um gewissenlose Börsenspekulanten oder Orte, die Dara besuchen wollte und die Ian bereits kannte.
»Paris«, sagte Dara zum Beispiel.
»Überbewertet«, antwortete Ian.
Wenn sie nicht redeten oder sich Filme ansahen, hatten sie komplizierten Sex, obwohl es Ian auch bei dieser Gelegenheit meist schaffte, einen Monolog zu halten. Wenn
Dara ihn dabei unterbrach, sah er sie an, wie man jemanden ansieht, der einem irgendwie bekannt vorkommt, aber man weiß nicht, woher.
Vor dem Sex sagte er Dinge wie: »Baby, ich bin so scharf auf dich … Es ist, als hätte ich seit Tagen nichts gegessen und als wärst du …«
»Ein Big Mac Menü?« Dara grinste ihn an.
»Lieber Himmel, nein. Du bist wie ein … ein köstliches Vorspeisenbuffet. Deine Brüste sind wie zwei leckere rosa Marshmallows, die auf einer heißen Schokolade schmelzen …«
Während dem Sex flüsterte er ihr »Oh, Baby, deine Haut ist so weich wie … wie … Wolken« ins Ohr. Dara war ziemlich sicher, dass sich Wolken nass und kalt anfühlten, was sie jedoch für sich behielt.
Und natürlich nach dem Sex: »Baby, das war … das war …«
»Gut?«, schlug Dara vor.
»Lieber Himmel, nein.« Ian wirkte gekränkt. »Das war viel besser als gut. Es war … grandios.«
Ja, Ian Harte hörte sich gern reden. In seiner Gegenwart musste sich Dara nie irgendwelche interessanten oder ausgefallenen Gesprächsthemen überlegen.
Und trotzdem – oder vielmehr deswegen – fand Dara keine Gelegenheit, Ian von Angel und der gefundenen und wieder verlorenen Niere oder von der verrückten Idee mit der Suche nach Mr. Flood zu erzählen.
Auch ihr spontanes Date am Mittwochabend (Ians Geschäftsreise nach Genf war in letzter Minute abgesagt worden) ging vorüber, ohne dass Dara die Angelegenheit erwähnt hätte.
Am Freitag gestand sie sich schließlich ein, dass der geeignete
Moment wohl nie kommen würde. Das Haus war leer, als sie nach Hause kam, und auf dem Küchentisch lag ein Notizzettel.
Bin mit Angel ins Krankenhaus gefahren, sind voraussichtlich gegen acht
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