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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ciara Geraghty
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verzweifelt ins Leere tappte.
    Während er fiel, verwünschte sich Stanley dafür, dass er viel höher als nötig hinaufgestiegen war. Tja, es erfüllte ihn eben immer mit einem nostalgischen Glücksgefühl, wenn er auf einen Baum kletterte. Er fühlte sich dann unversehens wieder wie ein siebenjähriger Junge.
    Zum Glück landete er auf einem weichen Heidekrautpolster, das wohl nie wieder blühen würde, und war erstaunlicherweise
weitgehend unverletzt, abgesehen von ein paar Prellungen an Hintern und Oberschenkeln, einem verstauchten Knöchel, einer Beule am linken Knie und einem Kratzer, den die schroffe uralte Eichenrinde auf seiner Wange hinterlassen hatte. Diese Blessuren waren jetzt ohnehin sein geringstes Problem. Während er desorientiert und nach Atem ringend unter dem Baum lag, hörte er nämlich, wie sich jemand näherte, und zwar im Laufschritt. Für einen Mann seines Umfangs konnte Tommo Traynor ziemlich schnell laufen. Keine Spur von den in seiner Anklage erwähnten zersplitterten Rippen, dem gebrochenen Bein und den gezerrten Bändern. Stanley vernahm, wie sich Tommo durch die Hecke am unteren Ende seines Gartens zwängte.
    Er biss die Zähne zusammen und richtete sich auf. Jeder einzelne Nerv in seinem Körper schrie förmlich nach Schmerztabletten, Whiskey, einer Wärmflasche und einem weichen Sofa. Stanley wusste, in diesem Zustand konnte er nie und nimmer entkommen. Gehetzt sah er sich nach einem geeigneten Versteck um. Zu seiner Linken, wo sich Tommo einen Weg durch das Wäldchen bahnte, ertönte nach wie vor geräuschvolles Schnaufen und das Knacksen von Zweigen. Zu seiner Rechten lag ein kürzlich gefällter hohler Baumstamm. Stanley robbte unverzüglich darauf zu, obwohl sein Knie bei der geringsten Belastung aufjaulte vor Schmerz. Es war knapp, aber irgendwie schaffte er es, sich in den hohlen Stamm zu quetschen, in dem es nach Moder und Fäulnis roch. Stanley registrierte ein Trippeln über seinem Kopf und dann eine Bewegung in seinen Haaren, deren Verursacher durchaus eine neugierige Maus hätte sein können. Oder eine Ratte. Ein vielbeiniges Etwas spazierte über seine Stirn. Stanley hielt den Atem an
und lauschte. Tommo war auf der Lichtung angekommen, schnaubend wie ein Stier aus Pamplona.
    »Wo steckst du, du verfluchter kleiner Scheißer?«, röhrte er. »Ich hab dich doch gesehen! Wart’s nur ab, ich kriege raus, wer du bist und wo du wohnst, und dann MACH ICH DICH FERTIG!«
    Er fegte mit dem Fuß ein paar Blätter zur Seite, trat gegen einen Baum, kam näher. Seine Schritte klangen bedrohlich in der nun herrschenden Stille. Eine Eule huhuute, und Stanley fragte sich, ob dies das letzte Geräusch sein würde, das er je hören sollte. Es war ein hoher, klagender Klang, aber irgendwie tröstlich, wie das bei letzten Geräuschen gern der Fall ist. Im nächsten Moment ließ sich Tommo mit einem matten Seufzen auf den Baumstamm plumpsen, der unter seinem Gewicht ein wenig nach hinten rollte. Jetzt lag Stanley auf dem Rücken. Während er die vor sich hin modernde Baumrinde anstarrte, stellte er sich Tommos breites Hinterteil vor, nur wenige Zentimeter über seinem Gesicht. Blieb nur zu hoffen, dass der Baum Tommos Gewicht standhalten würde. Stanley vernahm das Rascheln von Papier und das Ratschen eines Streichholzes, dann folgte Stille. Tommo inhalierte so lange, dass Stanley nicht umhin kam, die Dehnungsfähigkeit seiner Lunge zu bewundern, ehe ihm wieder einfiel, dass ihn Tommo wahrscheinlich gleich mit bloßen Händen erwürgen würde.
    Es dauerte ewig, bis Tommo seine Zigarette geraucht hatte. Stanleys Nasenrücken juckte ganz fürchterlich, denn eine Käferfamilie hielt eine kleine Zusammenkunft darauf ab, und zu guter Letzt wurde er noch auf eine ganz besondere Geduldsprobe gestellt: Tommo verlagerte das Gewicht und ließ einen langen, lauten Furz entweichen.
    Er stöhnte zufrieden, und Stanley bildete sich ein, er
könne die warme, käsige Luft durch die Baumrinde hindurch riechen. Obwohl die Situation alles andere als lustig war, verspürte er den Drang zu lachen und biss sich auf die Unterlippe, bis sie fast genauso schmerzte wie sein restlicher Körper.
    Als Tommo endlich aufstand und ging, wäre Stanley am liebsten auf der Stelle aus seinem Versteck gekrochen, doch er zwang sich, noch volle zehn Minuten zu warten, ehe er sich bewegte. Einen schrecklichen Augenblick lang befürchtete er, sich die Schulter auskugeln zu müssen, aber am Ende gelang es ihm auch so sich zu

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