Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
sie so umtrieben.
Mit diesem Bild im Kopf stehe ich auf. Draußen im Flur klappert und quietscht es. Im Schlafanzug saust Andrea los und reißt die Türe auf. Ich strecke mich, höre Stimmen. Jemand spricht mit ihm. Es ist das Zimmermädchen. Sie dankt Andrea, der die gebrauchten Handtücher faltet, sie in einen Sack steckt und sich dann daranmacht, auch die auf dem Wagen in Ordnung zu bringen. Er öffnet sie, schüttelt sie aus und legt sie wieder zusammen, nicht einmal Euklid könnte die Ränder einer Fläche so perfekt aufeinanderlegen.
»Super, wie er das macht«, sagt die Frau zu mir, wahrscheinlich eine Puerto-Ricanerin.
»Er ist ein großartiger Weltbegradiger, dieser junge Mann.«
»Leihen Sie ihn mir, Sir!«
»Das geht leider nicht. Wie soll ich ohne ihn zurechtkommen?«
Und zu ihm sage ich: »Los, komm jetzt wieder rein.«
Zu Hause verändere ich abends vor dem Schlafengehen die Gegenstände, die er gewöhnlich auf seine Weise ordnet: Ich verschiebe meinen Schreibtischstuhl, ziehe an den Vorhängen im Wohnzimmer, verstelle den Regler am Waschbecken und den WC -Deckel. Wenn ich sie dann morgens beim Aufwachen so wiederfinde, wie ich sie hinterlassen habe, weiß ich, dass Andrea die ganze Nacht durchgeschlafen hat, wenn sie aber alle strammstehen, bedeutet es, dass er durchs Haus geirrt ist und man sich fragen muss, ob er überhaupt ein bisschen geruht hat.
Unser sechster Morgen in Amerika bricht an: Es duftet nach Würstchen, Speck, Eiern und Kaffee. Jetzt haben wir es fast geschafft: Wenn der FBI uns nicht bis morgen rausschmeißt, innerhalb der ersten Woche, kann uns nichts mehr passieren. Uns soll’s recht sein! Hätten sie die in ein Glas ausgedrückte Zahnpasta und die wundervolle Umrandung an dem Schränkchen im Bad gesehen, hätten sie es sich vielleicht anders überlegt. Aber Malen ist für Andrea ein dringendes Bedürfnis, »die farben sind meine stimmungen und die wörter, die ich nicht sagen kann«, hat er einmal geschrieben, und wenn er zu Hause ist, malt er mit Farbnuancen, bei denen mir die Spucke wegbleibt.
Andrea hebt die Würstchen hoch und mustert sie misstrauisch, wie einer, der radioaktives Material begutachtet, doch dann isst er sie mit Appetit. Alle essen mit Appetit. Große und breite Männer schlagen sich mit Bergen von Eiern mit Speck den Bauch voll. Der Kaffee fließt in Strömen. Wobei – Kaffee ist zu viel gesagt, es handelt sich vielmehr um dunkel gefärbtes heißes Wasser, es lässt sich schon trinken, aber begeistern tut es mich nicht. Sicherlich starten sie hier mit weniger Aroma in den Tag als bei uns, in diesem Land ist Energiezufuhr wichtiger als der Geschmack.
Als wir auf das Motorrad steigen, warne ich Andrea, dass es heute heftig wird. Wir werden mit dem Hintern am Sitz kleben, sage ich, und er schwingt den Zauberstab über der Harley. Ausgezeichnet, wir sind geschützt.
Entspannt gleiten wir durch den Verkehr, zwischen riesigen Lastwagen, die mit massiven Druckwellen an uns vorbeibrausen. Als wir zum Tanken an einer Raststätte halten, sehen wir einen alten Wohnwagen, der einen irren Stau vor den Zapfsäulen verursacht. Er rangiert ohne Ende, um einen passenden Parkplatz zu finden. Der Mann am Steuer des Autos wirkt sehr aufgeregt. Ich sehe, wie er aussteigt, sich umschaut, zur Kasse läuft und etwas fragt. Beim Herauskommen rauft er sich die zehn oder zwölf Haare, die ihm noch geblieben sind. Er sieht mich, ahnt, dass ich Europäer bin.
»Señor! Es gibt keinen Fernseher… Wir sind in Amerika, und die haben hier keinen Fernseher!«
Er jammert so herzzerreißend, weil er das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft nicht sehen kann. Das reinste Spektakel. Die zwei kleinen Kinder und die Frau in seinem Auto scheint das nicht groß zu kümmern. Jetzt tuschelt er lebhaft mit ihnen. Schließlich lässt er die Arme sinken und schüttelt resigniert den Kopf. Dann erinnert er sich an uns.
»Señor, das Schicksal des Vaterlands steht auf dem Spiel, und ich muss diesen heiklen Augenblick alleine durchstehen. Mögen Sie Fußball?«
»Ja, schon.«
»Sagen Sie das nur aus Höflichkeit, oder stimmt es?«
Ich verstehe nicht, worauf er hinauswill. Seine Frau wirkt sichtlich genervt. Meine Männersolidarität ist nicht zu bremsen.
»O ja, ein schönes Fußballspiel wäre mir sehr recht…«
»Spanien – Holland«, sagt er flüsternd, damit ihn seine Familie nicht hört. »Ich heiße Javier. Hören Sie, wie wär’s, wenn wir mit gezückter Pistole einen Fernseher
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