Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
suchen kann. Wir fahren gleich zum nächsten, kaum einen Kilometer von unserem Standort entfernt.
Das B&B erweist sich als riesiges amerikanisches Einfamilienhaus mit großen Fenstern zur Straße hin und einem Rasen mit so herrlich weichem Gras, dass wir unbändige Lust bekommen, barfuß drüber zu gehen. Wir streichen uns mit den Händen die Haare glatt und läuten erwartungsvoll an der Tür. Die Besitzer erscheinen, sie sehen aus wie Rentner nach einer langen Karriere als Buchhalter oder Sachbearbeiter und empfangen uns in der hellen Diele. Sie mustern uns durchdringend, ihr Ton ist höflich, doch der Blick wachsam. Bestimmt fragen sie sich, ob es klug ist, die perfekte Ordnung im Haus zwei staubigen Reisenden anzuvertrauen, die dem Anschein nach nichts anderes als Herumtreiber sind. Ich spüre, wie sie Pro und Kontra abwägen. Der Mann stützt sich auf einen Stock und fasst an seinen Hut, als wollte er ihn gleich ziehen, um uns ritterlich, aber entschlossen zu verabschieden. Doch er bittet uns herein. Die Frau hat inzwischen Andreas nur allzu begeisterten Blick auf ihre Nippes aufgefangen. Als er hingeht und anfängt, die Sachen zu berühren, lässt sie eine Salve von Verboten los: Dies und jenes darf man nicht anfassen, da und dort darf man nicht hingehen, euer Badezimmer ist dieses hier und kein anderes. Ich stelle mir vor, wie sie die ganze Nacht damit verbringen wird, mit gespitzten Ohren zu lauschen, ob etwas und was genau der Schwerkraft zum Opfer fällt. Wir werden die zwei zum Wahnsinn treiben, denke ich.
Doch nach den ersten Minuten wird ihr bewusst, dass Andrea sie auf seltsame Art begrüßt: »Ciao, signora bella«, wiederholt er mehrmals. Das findet sie süß, sie entspannt sich und lädt uns ein, die Küche in Augenschein zu nehmen, wo wir frühstücken werden. Sofort nutzt Andrea die Gelegenheit, um die Flasche mit dem Spülmittel zu leeren. Sie sieht ihn entsetzt an, und er drückt mit seinem breitesten Lächeln auch noch den letzten Rest heraus. Er leert immer alle Wasserflaschen, trinkt auch drei hintereinander aus, nur damit sie leer sind. Das gleiche Schicksal erleiden Parfümflaschen, Shampoos, Creme- und Zahnpastatuben.
Die Frau ist irritiert, der Mann wird ein wenig böse. Er schnauft hörbar, nimmt den Hut ab, klopft mit dem Stock auf den Fußboden. Perfekt. Andrea liebt wütende Menschen über alles, einen Menschen zu sehen, der wütend herumschreit, ist das Höchste für ihn, er beginnt zu lachen und reibt sich die Hände. Einmal hat er mir geschrieben, sein Lieblingsspiel seien »die Leute, die auf Andrea wütend sind«.
Um ihren Mann zu besänftigen, tritt die Frau zu ihm. Als wollte sie ihn beschützen.
Andrea beschließt, das Haus zu erkunden: Er geht die Treppe hinauf, gefolgt von dem Mann, der seinen Hut auf den Boden geworfen hat und ans Geländer geklammert mühsam hinterherhinkt. Die Frau und ich sehen uns verwirrt an. »Er ist nicht gefährlich«, murmele ich.
Unterdessen ist der Hausherr oben mit Andrea verschwunden, eine Weile hört man keinen Atemzug. Dann plötzlich die Stimme des Mannes, gefühlvoll, ein beinahe glückliches Brummen. Mir ist, als hörte ich Laute wie bumm! Bamm! Bumbam! Tatapapam! Ich mache der Frau ein Zeichen, dass wir jetzt besser hinaufgehen.
Der Mann hält Andrea am Arm fest, sie stehen vor einer ganzen Wand voller Fotografien von Feuerwerk. Nichts liebt Andrea mehr als diese glitzernden Kaskaden am dunklen Himmel. Der Mann, überwältigt von Andreas tiefem Staunen, erzählt ihm, er sei in Huddersfield in England geboren und nach Amerika gekommen, um das Evangelium der Titanspäne zu predigen, die am Himmel silbrige Funkenregen versprühen, so dass Vieh und Viehtreiber große Augen machen. Mit seinen langen, vergilbten Fingern zeigt er auf Bilder von limettengrün und leuchtend rot explodierenden Feuerwerkskörpern, hebt die Stimme, um Kupfer und Barium zu preisen und auf das lästige gelbe Licht von Natrium zu schimpfen, das mit Strontiumrot gedämpft werden muss, um Blütenblätter an den Himmel zu malen, die orange sind wie manche Sumpflilien. Er ist nicht zu bremsen: Zum Beweis seiner früheren Meisterschaft brüstet er sich damit, dass er sogar dunkelblaue Funken erzeugen kann. Seufzend lässt er Andreas Arm los, und Andrea rückt beinahe zärtlich ein paar Fotos an der Wand gerade.
Jetzt liebt uns der Mann, und als wir später herunterkommen, erwartet er uns in einer weißen Limousine, die zwar schon ein bisschen ramponiert ist, aber
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