Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
mir! Post für mich! Ich versuche ruhig zu bleiben, aber es gelingt mir nicht – wem würde das schon gelingen? In fliegender Hast tippe ich:
Hattest du Angst auf der Fahrt im Dunkeln ohne Licht?
nein ciao
Im Leeren
Wir haben herausgefunden, dass wir in der Nähe von Alexandria gelandet sind. Das Scheinwerferproblem haben wir in einem Harley-Point gelöst, einer Art riesigem Vergnügungspark voller glitzernder Lichter und Farben. Die Harleys standen aufgereiht wie eine einsatzbereite Kavallerie. Ich dachte, es handle sich um eine einfache, kurze Sache. Doch das überaus gewissenhafte Personal teilte uns mit, dass ein paar Stunden Arbeit nötig sein würden.
Wir überbrücken die Wartezeit in einer Imbissstube. Neben uns sitzen zwei bärtige, tätowierte Rider aus Texas.
Andrea scharwenzelt um sie herum.
»Seid ihr die üblichen Scheißtouristen?«
»Scheißtouristen, Scheißtouristen«, wiederholt Andrea mit seinem unnachahmlichen italienischen Akzent, während er herumhüpft wie ein Storch im Salat. Die Rider geben zu, dass sich Scheißtouristen normalerweise anders bewegen, und lassen sich gutmütig fotografieren: zwei Piraten mit krausen Bärten und stechendem Blick und in der Mitte eine Bohnenstange in einem T-Shirt, das ursprünglich mal weiß gewesen sein könnte. Beifällig staunen sie über unsere Art des Reisens. Ihr seid keine Scheißkerle, sondern bloß leichtsinnig, sagen sie und empfehlen uns, ein paar Flaschen mit Wasser zu füllen und uns unterwegs damit nasszuspritzen. »Bei diesen Temperaturen kann man Texas nicht auf dem Motorrad durchqueren, wenn man nicht feucht wie ein Wurm ist«, grölen sie und krümmen sich vor Lachen. »Wenn man feucht wie ein Wurm ist, leidet man weniger unter der Hitze«, und wieder eine Lachsalve, sie kriegen sich überhaupt nicht mehr ein. Andrea lacht eine Weile mit, dann blickt er sie an, als könnte er mit ihnen die tollsten Streifzüge unternehmen.
»Nach Waco wollt ihr? Fahrt nicht nach Waco, da spinnen sie alle. Nein, lasst Waco aus.«
»Wo sollen wir dann hin?«, frage ich.
»Habt ihr denn kein Ziel?«
»Nicht direkt.«
»Vergesst Dallas und Oklahoma City, da spinnen sie noch mehr«, sagen sie. »Außerdem müsstet ihr dann über Wichita in Kansas fahren, das kommt gar nicht in Frage.«
»Okay«, sage ich. »Was dann?«
»Fahrt über Amarillo nach Santa Fe, da lasst ihr euch in der Wüste rösten, und anschließend fahrt ihr nach Denver zum Abkühlen. Wüste, große Seelen, echte Spinner.« Wieder Gelächter.
»Habt ihr Der Wüstenplanet gelesen?«, fragen sie uns beide.
»Ich habe den Film gesehen«, sage ich.
»Den Film kannst du vergessen«, antworten sie. »Oder hast du kapiert, was die Droge ist? Die, die man aus den gigantischen Wüstenwürmern gewinnt?«
»Nein, keine Ahnung.«
»Uran«, sagen die beiden wie aus einem Mund.
»Uran?«
»Für die Atombombe. Die Droge brauchten sie für die Atombombe, für das Manhattan-Projekt.«
Die Wüste beflügelt die Phantasie.
Die beiden Ganoven rücken näher, als müssten sie uns dunkle Geheimnisse verraten, einer packt Andrea, der jetzt weglaufen will, und hält ihn fest. Nach und nach tauchen aus diesem Bartgestrüpp Atomexperimente auf, Strahlungen, die Mutationen bei Riesenkakteen hervorrufen, aber nicht bei Motorradfahrern, und uralte Eisenbahnlinien, Abschnitte von Straßen, Reste von Bergwerken, architektonische Experimente. Die Wüste als Müllhalde menschlicher Bestrebungen, wo militärischer Zynismus absurde Projekte in den Sand setzt, aber auch als Destilliergerät für Visionen, Halluzinationen, Hoffnungen. Die Wüste als der größte Verdampfer der Welt.
Mir ist schon ganz schwindlig. »Ist denn die Wüste nicht leer?«, frage ich. Schließlich wird die Arabische Wüste auch »Leeres Viertel« genannt.
Sie lachen und lachen. Fahrt nur hin, fahrt hin und seht nach, ob es die Leere war, die das Universum hervorgebracht hat…
Wir nehmen den zweifachen Rat an: Mit nassen T-Shirts scheint es, als hätte das Motorrad eine eingebaute Klimaanlage. Und wir nehmen Kurs auf Amarillo. Der Tag vergeht, immer on the road: Die Tankstellen sind bald die einzigen bewohnten Inseln weit und breit. Andrea fasst die Frauen an, die hier an den Zapfsäulen arbeiten, und riskiert ein paar Ohrfeigen, wird aber von der weiblichen Liebenswürdigkeit immer begnadigt. Wir tanken Treibstoff, Eis für Andrea und jede Menge Wasser, um uns zu erfrischen. Zum Spaß leeren wir uns die Flaschen während der
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