Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
riesige Zigarre zu rauchen, die nicht enden will und mich benebelt. Wenn uns jemand von außen durch die Wolke aus Rauch und Tönen beobachten könnte, sähe er uns versunken im Schatten eines großen Baums sitzen. Erneut muss ich Andrea die Augen zuhalten, und der Schamane spuckt dreimal Schnaps auf sein Haupt und auf meines.
Es sind Stunden vergangen. Wir tauchen aus tiefsten Tiefen auf, sind eine Mischung aus Staub, Schweiß, Parfum, Rauch, Schnaps, Weihrauch, Spucke und wer weiß was noch. Andrea befreit sich, bewegt sich, betrachtet das brennende Feuer. Er findet kleine Steine und Holzstücke und wirft sie in die Flammen. Ich kann seinen Blick nicht deuten. Er ist intensiv, sehr klar, aber ich verstehe ihn nicht. Wir umarmen den Schamanen.
Hintereinander steigen wir den Friedhofshügel hinunter, ich als Letzter. Ist das Gefühl, in weite Ferne geblickt zu haben, nur Einbildung? Genügt es, Kerzen anzuzünden, Gebeten zu lauschen, dich anderen Menschen nah zu fühlen… Genügt das, um bestimmte ungewohnte Regungen zu wecken? Würden wir sie immer fühlen, wenn wir hier wären? Oder empfinden wir sie, weil es uns gelingt, eine Bresche zu schlagen in unserem Leben voller Berechnungen und Rationalität? Geschieht es, weil wir uns eine Pause gönnen, mal einen Takt aussetzen?
Unser Abschied dauert sehr lange.
Wir setzen unsere Reise auf der Panamericana fort, wieder Häuser und Baracken am Straßenrand, Spuren von Erdrutschen, ständige Umleitungen. Wir kehren nach Antigua zurück, suchen uns ein neues Hotel, geben das Auto ab und kaufen die Fahrkarten für den Minibus, der uns morgen nach Puerto Barrios bringt. Dort wollen wir das Schiff nach Livingston besteigen. Guillermo hat uns bei dem Abendessen in Chichicastenango erzählt, dass in Livingston die verschiedensten Völker leben, viele der Bewohner sind Garifuna, die teils von Kariben, teils von Sklaven aus Westafrika abstammen, die dort Schiffbruch erlitten haben. Livingston ist ein guter Ausgangspunkt, um die karibische Küste hinaufzufahren bis nach Tulum.
»Wir fahren zu den Garifuna!«, habe ich zu Andrea gesagt: »Es ist ein Kreislauf, weißt du, erst waren sie frei, dann Sklaven und danach wieder ein bisschen freier.« Ich erkläre ihm, dass das Leben Chancen bietet.
Weniger Sklave zu sein, das geht.
Landung in Livingston
Andrea versucht die Rucksäcke zu packen. Er zieht die Reißverschlüsse auf, zu und gleich wieder auf, schichtet die Kleidung nach ganz eigenen Kriterien immer wieder um. Irgendwann kommt in mir die Wut hoch: Ist es denn möglich, dass er kein T-Shirt ordentlich hineinlegen kann? Dann beruhige ich mich wieder, wir blödeln herum: Ich lege auch etwas von hier nach da, mache einen Rucksack ein paarmal auf und zu. Andrea lacht über mein Theater.
Draußen vor dem Hotel erwartet uns ein Kleinbus, der uns zu dem Busbahnhof bringt, wo die Linien nach Puerto Barrios abgehen. Die anderen Passagiere sind schon eingestiegen: drei junge Dänen und zwei Mädchen aus Australien. Sie haben uns den Platz neben dem Fahrer frei gelassen, da setze ich mich hin, und einen Platz neben den Mädchen, wo Andrea es sich bequem macht. Er erobert sie sofort und bekommt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
Nach kaum einem halben Kilometer merke ich, dass der Rucksack mit den Ausweisen und dem Handy fehlt, den sollte Andrea tragen. Ziemlich ungehalten schnauze ich ihn an: »Wo hast du den Rucksack gelassen?« Er schaut mich so groß und unschuldig an, dass unsere Reisegefährten mich mustern, als wollten sie sagen: »Und du, wo warst du?« Ein ehernes Bündnis. Ich schlage mir an den Kopf: Wir müssen umkehren.
Nach einer Stunde Fahrt steigen wir am Busbahnhof aus, wo Überlandbusse aus längst vergangenen Zeiten auf uns warten, bauchige, schnaufende Brummer. An den Fahrkartenschaltern stehen lange, langsame, ziemlich disziplinierte Schlangen. Leider soll der Bus nach Puerto Barrios um dreizehn Uhr abfahren, das heißt, uns bleiben nur wenige Minuten. Das schaffen wir nie. Wir müssen sehr verzweifelt aussehen, denn unverhofft taucht ein Mann mit schwarzen Hosen, weißem Hemd und einem Schildchen um den Hals auf. Er fragt uns, wohin wir wollen. Puerto Barrios? Nur mit der Ruhe, und schon stürmt er los, um den Bus aufzuhalten, fordert den Fahrer auf zu warten, hastet an der Schlange vorbei zum Schalter, lädt die Rucksäcke auf den Bus und lässt uns einsteigen. Ich kann nicht umhin, ihn angemessen zu belohnen.
Fünf Stunden Fahrt. So stand es auf dem
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