Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
Ja?«
»Versprochen, Papa.«
»Versprichst du mir, dass du mir nicht mehr den Arm hinhältst, damit ich dich beiße?«
»Ein bisschen schon.«
»Was hast du mir versprochen?«
»Ganz ruhig bleiben.«
»Nein –«, aber dann heben wir ab, und alles wird auf einmal winzig klein: Die Straßen sind Fäden, die Felder Handtücher, die Dörfer Dächerklümpchen, unser Haus ist schon weit weg, die Geschwindigkeit lässt die Dinge schrumpfen, und klein wirken nun auch die vergangenen Sorgen, die Ferien der letzten Jahre, die Schule, die guten und weniger guten Lehrer, die Ärzte, die Ratschläge. Die Ängste. Alles löst sich auf. Wir fliegen.
Während des Flugs bewegen wir uns kaum, wir stehen nur auf, um zur Toilette zu gehen. Andrea schaut aus dem Fenster und ich mit ihm. Eine Weile folgt er mit dem Blick den Wolkenrändern, dann packt er meine Hand. Es ist nicht sein erster Flug, ich glaube nicht, dass er sich fürchtet. Er zeigt nicht die düstere Unruhe, die ihn überkommt, wenn etwas nicht stimmt. Er hat einfach eine Verbindung zu mir hergestellt: Richtig, Andre, da ist dieses Stück Himmel, aber dann kommt Amerika, es wartet auf uns. Wenn es uns nicht gefällt, können wir wieder heimfahren. Wann immer wir wollen. Hey, ihr Amerikaner, bei euch hat es uns nicht gefallen!
»Wenn es Probleme gibt, kehren wir sofort um.«
Ich fühle, dass er ganz da ist, ganz ruhig. Nur noch zwei Stunden, dann sind wir tatsächlich in Amerika!
Am Flughafen von Miami strecken Menschen fast aller Hautfarben die Nase in die Höhe, um die Abflugtafel zu studieren, oder sie stehen Schlange am Check-in. Andrea sieht sich um, er ist durcheinander, geht ganz vorsichtig, auf Zehenspitzen, streichelt die Luft mit den Händen.
Wir geraten an einen langsamen Taxifahrer. Bevor er uns einsteigen lässt, mustert er uns, dann hantiert er am Taxameter, stellt den Rückspiegel ein, brummt etwas vor sich hin.
»Was hat der?«, fragt er mit Blick auf Andrea.
»Nichts«, erwidere ich.
»Mir scheint, der hat was.«
»Der Junge ist autistisch«, sage ich knapp.
»Das hätten Sie mir doch gleich sagen können!«
Ich ärgere mich. Da haben wir’s, denke ich, jetzt muss ich herumstreiten, wir werden doch nicht einen Kontinent durchqueren, wo mich jeder mit ausgestrecktem Zeigefinger fragt: Was hat Ihr Sohn eigentlich? O nein, das passt mir nicht, Amerika, das passt mir überhaupt nicht, da sind wir in dem Land, in dem sich unterschiedlichste Kulturen mischen, und du sträubst dich gegen ein bisschen Autismus? Nicht mit mir, ich bin empört.
»Los Andre, wir steigen aus –«
»Nein! In meinem Taxi zahlen solche Leute den halben Tarif.«
Ach, so ist das! Der rote Teppich Amerikas ist eine vergünstigte Taxifahrt und ein enttäuschendes Hotel. An der ziemlich vergammelten Rezeption greift sich Andrea sofort einige Prospekte und fängt an, sie zu zerreißen. Der Herr am Empfang bemüht sich, sie ihm wegzunehmen, freundlich zu bleiben – es entsteht ein stilles Handgemenge, bis Andrea ihn aus der Fassung bringt, indem er ihn plötzlich küsst. Der Mann lässt das Papier los.
Auch das Zimmer ist schäbig und nicht besonders sauber, im Internet sah das ganz anders aus. Wir sind müde, ich habe keine Lust zu reklamieren, und außerdem hat Andrea soeben die schreckliche Schlacht um die Prospekte gewonnen. Eins zu eins. Steigen wir lieber zur Taufe in den Ozean und schwimmen uns von allen Spannungen frei.
Mit fünf Jahren war Andrea vor unseren verblüfften Augen ins Schwimmbecken gesprungen und unter Wasser querdurch geschwommen, hin und zurück. Er ist ein Delphin!, haben wir gedacht. Wenn er groß ist, durchquert er so mal noch den Ärmelkanal. Ein Champion…
Ein rasches Abendessen und ab ins Bett. Der erste amerikanische Schlaf. Kaum dass Andrea seinen Kopf aufs Kissen legt, ist er weg, schläft friedlich wie ein Murmeltier.
Ich hole einen seiner Texte heraus, als würde ich zur Feier des Tages eine Flasche Champagner entkorken. Ich lese laut, aber nur in meinem Kopf.
Ich brauche ein bisschen Hilfe, damit wir uns besser verständigen können… gib mir doch einen Rat…
du glaubst ich bin normal nervensäge und ungezogen, ich bin sensibel anders und sehr einsam
Ach bitte, nur einen kleinen Hinweis, wie ich dich behandeln sollte. Benehme ich mich richtig oder…?
papa ist einzigartig für mich andrea wäre gern einzigartig für papa
Meinst du, das bist du nicht?
ich habe auch schöne seiten du kennst sie
»Du kennst sie«, Frage oder
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