Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)
gehen. Manchmal muss man sich distanziert und kühl verhalten, denn es gibt Menschen, die ertragen es nicht, wenn du sie berührst. Andere Male musst man so warm sein wie der Atem. Man kann ganz schöne Katastrophen anrichten, mit der Liebe.«
»Ja, und?«
»Ich habe einen Regler für die Liebe erfunden, Senhor. Ich merke, wann man mehr auf- oder zudrehen muss. Es kommt auf den Menschen an und auf den Augenblick. Denn Liebe, Senhor, ist die richtige Temperatur, um eine Blume zum Blühen zu bringen. Vielleicht will der Tod mich deshalb nicht…«
»Der Tod will uns alle, Senhor.«
»Das ist wahr. Aber er will von mir auch das Geheimnis des Reglers, und das will ich ihm nicht geben. Und solange er versucht, mich zu überreden, bin ich hier auf Erden unterwegs. Ist das verkehrt?«
»Nein, Senhor, goldrichtig.« Schau sich einer diesen Typen an!
In Salvador da Bahia gehen wir nach Pelourinho hinauf, zu dem zauberhaften Ort oben auf dem großen Hügel. Vor zwanzig Jahren war hier Niemandsland; nicht einmal die Polizei wagte sich hierher; vermutlich wegen der Kriminalität – oder wegen des Trommellärms.
Als wir, in herrliche Düfte gehüllt, zwischen den bunten Häuschen umherschlendern, hören wir das Trommeln schon von weitem, es tönt die Straßen herauf und überrollt uns, als eine Band an uns vorbeimarschiert.
Nachdem wir mit einem Taxifahrer gesprochen haben, wissen wir, welchen Weg wir nach Arraial nehmen. Erste Etappe: Barra Grande.
»In höchstens einer Stunde seid ihr dort.«
Dabei braucht man über vier Stunden, sie erzählen halt gern das Blaue vom Himmel herunter, diese Brasilianer!
Eine schöne Fahrt, aber ziemlich holperig: Die letzten fünfzig Kilometer ist die Straße ungeteert, mit riesigen, wirklich nervenaufreibenden Schlaglöchern. In einem bleiben wir fast stecken, und ich komme nur mit Mühe wieder heraus.
Ich versuche mit Andrea zu sprechen, und wir verheddern uns in einer Diskussion über Kühe und Kühler.
»Grässlich, die Straße hier, der Kühler ist schon ganz heiß. Andrea, aber schau mal dort die Kühe!«
»Kühler«, sagt Andrea.
»Nein, Andre, der Kühler ist vorn am Auto. Das da sind Kühe. Okay? Wie heißt der Teil vom Auto?«
»Kühe.«
»Nicht Kühe! Kühler! Und die da vorne, weiß mit vier Beinen?«
»Kühler.«
Ich halte an und steige aus: »Nein, so nicht, diese Sache müssen wir klarkriegen! Also, die weißen Dinger mit Beinen da sind Kühe, und das hier am Auto ist der Kühler. Wie heißt das hier am Auto?
»Kühe.«
Kühe, Kühler, Kühe, Kühler. Keine Chance. Langsam verliere ich die Geduld. Nur ruhig, ganz ruhig: tief durchatmen. Ich zünde mir eine Zigarette an, blase den Rauch aus.
Bei Dunkelheit treffen wir in Barra Grande ein und sind total erschöpft. Zum Glück finden wir eine gute Unterkunft. »Zieht die Schuhe aus, wenn ihr ins Dorf geht«, sagen sie zu uns: »Hier kann man barfuß gehen, die Straßen sind aus Sand.« Andrea saust auf Zehenspitzen los wie noch nie.
Cuidalo!
In Barra ist der Asphalt noch nicht erfunden. Sie wollen keine modernen Straßen, weil sie den Ansturm der Touristen fürchten. Der Zauber dieses Fleckchens ist ihnen heilig: der winzige Dorfplatz, die einfachen, schmucken Häuser, die Stille, die die Stimme des Ozeans bis in die Wohnungen dringen lässt, und das bunte, fröhliche Gewimmel von Freunden und Bekannten.
Vor einem kleinen Laden fragen wir nach dem Strand. Als eine Frau stehen bleibt, um uns zu antworten, umarmt Andrea sie. Leise sage ich zu ihm, vielleicht mag die Signora das nicht, und sie antwortet überrascht auf Italienisch. Sie stellt sich vor, Regina ist ihr Name, sie hat einen Landsmann von uns geheiratet und will uns vor allem gleich sagen, dass wir in einem Paradies gelandet sind, in Barra zu leben sei das Schönste, was einem passieren könne. Sie sieht Andrea an, lächelt ihm zu und sagt, dass Barra der richtige Ort für ihn sei, die Leute hier würden ihn bestimmt sehr gernhaben. Sie führt uns zu verborgenen Stränden, wir trinken agua de coco, und die Zeit verfliegt. Ein angenehmer, entspannter Nachmittag. Mit einem Zwischenfall.
Ein fliegender Händler am Strand sieht diese Bohnenstange von einem Touristen und freut sich schon darauf, ein bisschen zu feilschen und ihm eine Kleinigkeit zu verkaufen. »Probieren Sie sie an«, sagt er und hält ihm einladend eine Handvoll Armbänder entgegen. Andrea nimmt ihn beim Wort. Er greift nach den Armbändern, doch auf einmal, vielleicht wegen des
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