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Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)

Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition)

Titel: Wenn ich dich umarme, hab keine Angst: Die wahre Geschichte von Franco und Andrea Antonello erzählt von Fulvio Ervas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fulvio Ervas
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unterwegs, angefangen von den reihenweise anstehenden Käufern in Krawatte und weißem Hemd, die ganze Container voll Fisch für den Export ersteigern, bis hin zu dem Heer von Bettlern, die sich mit einem Real für das nächste Bier begnügen.
    Ich nehme auch eines, und Andrea trinkt gierig sein Wasser.
    »Na, Andre, was hältst du von unserem Ausflug zu den Piranhas und Krokodilen?«
    Er lächelt, wendet sich ab und schlendert um die Fischstände.
    »Und der Regenwald? He, Andre, ich rede mit dir.«
    Haben die majestätischen Bäume womöglich nur mich beeindruckt? Und diese riesige grüne Gebärmutter? Erlebt er das alles eher so, als spielte er zu Hause im Garten? Als wäre nie etwas geschehen? Als wäre es zu nichts nütze?
    Ich hatte Andreas Texte einen um den anderen weggelegt, wenn ich sie gelesen hatte. Jetzt nehme ich sie und zerreiße sie in winzige Stücke, so wie er es macht. Ich werfe sie in einen Papierkorb. Ein Text ist noch übrig. Der letzte, der mir bleibt.
    Heute Abend bin ich in sonderbarer Stimmung, vielleicht treiben mich auch mir selbst unklare Gefühlsregungen um, jedenfalls gehe ich in eine Agentur und frage, ob es einen Flug gibt, der uns in die Nähe von Arraial d’Ajuda bringt. Der Angestellte mustert mich neugierig: »Was wollen Sie denn da?«
    »Wir müssen einen Brief überbringen«, antworte ich.
    »Einen Brief?! Aber das sind dreitausend Kilometer, geben Sie ihn mir, ich schicke ihn ab, den Brief. Was ich Ihnen anbieten kann, sind äußerst günstige Pauschalreisen nach Fortaleza, Belém oder in die Lençóis Maranhenses.«
    Sein Blick sagt es deutlich: Was sind Sie für ein Mann, dass sie Ihre Zeit damit verschwenden, einen Brief in das hinterletzte Kaff zu bringen?
    »Dieser Brief, mein lieber Herr«, sage ich, »besteht aus lauter kleinen Papierstückchen, so einen zerrissenen Brief kann man nicht abschicken, begreifen Sie das? Wenn ich einen ganzen Brief in Händen hätte, ließe sich vielleicht darüber reden. Oder haben Sie hier Briefmarken für Briefe, die aus winzigen Fetzen bestehen?«
    »Nein«, erwidert der Mann.
    »Sehen Sie?«
    Ich denke, dass Andrea mich besser kennt, als ich vermute; seine Reaktionen sind nie absehbar, vielleicht kann ich mich nicht über Bäume und Blätter mit ihm unterhalten, aber zuletzt ist immer er es, der mich in eine Richtung drängt.
    Der Angestellte resigniert: »Na gut, dann könnten Sie nach Salvador da Bahia fliegen und anschließend ein Auto mieten, wir können es von hier aus buchen. Und versäumen Sie nicht, unterwegs noch ein paar schöne Orte anzuschauen: Barra Grande, Itacaré… Nutzen Sie es aus. Amüsieren Sie sich.«
    Einverstanden.
    »Briefträger sein ist eine ernste Angelegenheit«, sage ich zu Andrea und zwinkere ihm zu.
    Der Flug nach Salvador geht um zwei Uhr nachts.
    »Haben Sie ein bisschen Tesafilm?«, frage ich.
    »Nein.«
    »Klebstoff?«
    »Nein.«

Kühe & Kühler
     
    Dunkler Himmel erwartet uns: Andrea lehnt am Fenster, ich sitze in der Mitte, und am Gang nimmt ein alter Mann Platz.
    »Haben Sie Angst vorm Fliegen, Senhor?«, fragt er mich.
    »Sehe ich so aus?«
    »Sie machen sich irgendwie Sorgen, aber nicht wegen des Flugzeugs, scheint mir…«
    Hätte ich seine Stimme am Telefon gehört, ohne sein Gesicht vor mir zu sehen, hätte ich mir einen reifen Mann vorgestellt, so um die sechzig.
    Aber seine Haut ist die einer Schildkröte, er ist so dürr wie ein Bäumchen, das in der Wüste gewachsen ist, nur die Augen, die Augen leuchten mit solcher Kraft, dass ich denke: Das muss ein glücklicher Mensch sein.
    Er behauptet, er sei zweiundneunzig, drei entzückende Frauen hätten ihm vierzehn Kindern geschenkt, und jetzt reise er nach Salvador da Bahia, um seinen Jüngsten zu treffen.
    »Senhor«, sage ich zu ihm, »ich kann es nicht glauben, dass sie fast ein Jahrhundert auf dem Buckel haben.«
    »Warum denn nicht, Senhor? Hundert Jahre sind kein Unglück«, erwidert er.
    »Sie strahlen so viel Energie aus, Senhor. Bei allem Respekt, ein Zweiundneunzigjähriger kann gar nicht so rüstig wie Sie sein.«
    Er hat blaue, beinahe durchsichtige Augen.
    »Ich habe noch nie einen Pullover gebraucht, Senhor. Ich habe mein Lebtag als Fischer gearbeitet und nie unter Kälte oder Liebesmangel gelitten. Die Leute meinen, Liebe gehöre zum Menschen, ungefähr so wie das Gewicht zum Blei. Die Liebe käme von allein.«
    »Und was meinen Sie?«
    »Mit der Liebe ist es wie mit der Temperatur. Man kann unter null oder auf hundert Grad

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